„Kampagne? Datt iss doch so wie die Pathfinder Abenteuerpfade. Ein paar aufeinander aufbauende Abenteuer. Charakteraufstige bis Stufe 20. Bäm. Fertig.“
Ja. das kann es sein, wie zahllose andere Formen, wie Kampagnen gespielt werden können. Schauen wir uns doch mal an, ob wir hier wieder etwas uraltes Wissen ausgraben können.
Eine Frage und anschließende Diskussion im System Matters-Discord hat mich mal wieder auf die Seifenkiste gescheucht. Anlass ist mal wieder Ben Milton, von dem ich noch keine Minute selber gesehen oder kein Wort gelesen haben – außer in den Fällen, wenn mich mein Gruftschrecken-Kollege dazu zwingt, mich mit seinen Sachen auseinanderzusetzen.
In diesem Fall ist es ein Video von Ben, der schildert, wie „einst“ (TM) Kampagnen durchgeführt wurden und ich weiß gar nicht, ob ich auf diese Praxis hier schon ausreichend eingegangen bin. Vielleicht gar dergestalt, dass auch normale Interessierte etwas damit anfangen können, die nicht damals dabei waren oder sich gerne durch alte Folianten der Weisheit wühlen.
Beginnen wir doch mal mit ein paar alten Seifenkisten Artikeln zum Thema – schaut mal, ob euch da etwas den Einstieg erleichtert:
Aber wovon reden wir hier überhaupt? Wie ich es für old-schoolige immer predige ist eine „Kampagne“ erst einmal eine Hintergrundwelt, die ich als Spielleitung in allen ihren Facetten (gerne auch in großen Teilen basierend auf Zufallstabellen) vorbereite und den Charakteren meiner Spieler*innen als freie Spielwiese zur Verfügung stelle. Diese Welt sollte nicht statisch sein, sondern sich sowohl auf einer politischen Ebene entwickeln als auch durch die Taten der SC mit geprägt werden. Wobei da die Einflussbereiche bedingt durch den Machtzuwachs der Charaktere ganz organisch immer größer werden.
Rettet die Gruppe zu Beginn einem fahrenden Händler das Leben, könnte dieser in Zukunft zum mächtigen Händler aufsteigen und ein wichtiger Verbündeter werden. Bricht sie nicht zur Rettung eines von Amazonen bedrohten Ortes auf, so kann es sein, dass der Ort von der Landkarte getilgt wird oder sich beim nächsten Besuch in der Hand der wilden Kriegerinnen befindet. Herrschen die Charaktere über Baronien oder kleinere Grafschaften, hat ihr Tun Auswirkungen auf die benachbarten Regierungsgebilde. Und so weiter, bis im wirklich hochstufigen Spiel die Zustände auf der gesamten Welt auf dem Spiel stehen.
Aber das nur mal so als Einleitung zum Begriff Kampagne. Wir sind nämlich immer noch nicht da, wo ich hinmöchte und wo viele Spielrunden gerade der 70er Jahre schon waren. Zu dieser Zeit war es nämlich nicht so, dass ich meine Hintergrundwelt ausformuliert und dann mit meinen drei bis vier immer gleichen Freund*innen bespielt habe. Neeeeeeeeeein! Eine solche Kampagne war eine Sache, die der gesamten Rollenspielcommunity im weiteren Umkreis zur Verfügung stand.
Und zwar auf zwei verschiedene Arten und Weisen:
Zum Einen war die Spielwelt offen für alle Charaktere, die am Spieltag zugegen waren. Ihr habt vielleicht schonmal gelesen, dass irgendwelche Kampagnen von Gygax oder Arneson 50 Leute mitgespielt haben. Klar, die waren nicht immer alle gleichzeitig am Spieltisch, aber wenn ihr euch Fotos von Gygax‘ Spieltisch anseht, sei es bei ihm zu Hause oder auf Conventions, so sitzen da gerne mal 10-15 Spieler*innen am Tisch. Weit jenseits dessen, was wir im Jahr 2022 so gewöhnt sind. Es gab also einen großen Pool an Charakteren – und wer bei einer Spielsitzung anwesend war, spielte mit, wer keine Zeit hatte, kam halt zur nächsten Sitzung wieder oder zur übernächsten und musste einfach damit leben, was bis dahin geschehen war.
Das führt natürlich zu Problemen und es gibt die unterschiedlichsten Abstufungen, wie mit nicht anwesenden Charakteren umgegangen wird und wurde. Ich persönlich finde es elegant, eine Art Hub zu haben – also ein Dorf oder eine Abenteurer*innengilde oder so, wo dann zu Beginn des Abends geschaut wird, welche Held*innen heute ins Abenteuer ziehen, und wer heute nicht mit dabei ist – aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht ist der Charakter gerade auf einer Pilgerreise, muss sich Ausrüstung besorgen, oder oder oder. Natürlich lassen sich immer Gründe dafür finden, dass Charaktere nicht am Start sind, aber ganz ehrlich? Das finde ich persönlich noch nicht einmal nötig. Dann fehlt halt eine Person, ist für die Welt und die sich entwickelnde Gesamtnarration völlig unwichtig. Außerdem könnte es ein Anreiz sein, möglichst wenige Spielsitzungen zu verpassen, denn sowohl mir als Spieler*in fehlt dadurch Weltwissen – selbst wenn es zu Beginn jeder Runde eine grobe Zusammenfassung gibt – aber auch meinem Charakter fehlen wichtige EP – und somit Stufen und ganz allgemein gesprochen: Macht.
Denn EP-technisch wird da natürlich eine Kluft entstehen zwischen den Charakteren der Spieler*innen, die immer bei den Sitzungen sind und denen derer, die es nur selten schaffen. Aber zum einen spielt die Stufe innerhalb der Gruppe im Old School-Bereich ohnehin eine eher untergeordnete Rolle, da es kein explizites Balancing gibt. Zum Anderen gibt es natürlich Methoden, wie das Ganze zumindest halbwegs angepasst werden kann – so können nicht anwesende Charaktere wenigstens die Hälfte der EP bekommen, die die anderen verdient haben oder es gibt zwischen den Sitzungen Eins-gegen-Eins-Spiele der Spielleitung mit einem Charakter, um beispielsweise jene Pilgerfahrt auszuspielen, für die es dann natürlich auch EP gibt.
Aber eben jenes Beispiel vom Einzelspiel führt uns zum zweiten Punkt, an dem diese Art von Kampagne unglaublich an Dynamik und Kraft gewinnen kann. Und zwar, indem ich unterschiedliche Gruppen in verschiedenen Dörfern und Gilden auf die Welt loslasse. Vielleicht sogar Gruppen mit unterschiedlicher Agenda – also an einer Stelle größtenteils rechtschaffene, an anderer Stelle vor allem neutrale und an wieder zwei anderen Orten eher chaotische Charaktere. So werden die Gruppen zuerst auf ihre unmittelbare Umgebung Einfluss nehmen und kleinere Abenteuer bestehen, die das große Ganze nur unwesentlich berühren. Aber je mächtiger die Charaktere werden und je mehr sie ihren Einflussbereich ausweiten, desto eher kommt es dazu, dass die Handlungen der einen Gruppe die direkte Lebenswelt der anderen Gruppe beeinflussen. Im „besten Fall“ ist dann die böse Tyrannin Andromeda im Nachbarkönigreich Weldur eine Spielerin einer anderen Gruppe oder der weise Einsiedler ist der Charakter von Franzi, die ihren Charakter immer mal wieder zwischen Abenteuern in Klausur schickt, um über seinen magischen Folianten zu grübeln. Ach, die Möglichkeiten sind mannigfaltig und ich habe mich gerade selber total heiß auf diese Art von Kampagne gemacht.
Hmmm… Ich würde gerne einen Artikel von Settembrini dazu lesen. Er und die Berliner AD&D-Blase ist da meiner Einschätzung nach am ehesten nah dran, so in den vergangenen Jahren gespielt zu haben. Ich habe so oder ähnlich Mitte der 80er bis in die frühen 90er hinein gespielt – aber viel zu wenig die Chance genutzt, die Gruppen an anderen Orten der Karte spielen zu lassen – das stelle ich mir extrem lohnend vor. Okay, dazu hatte ich auch damals viel zu wenig Spieler*innen – die größte Runde, an die ich mich erinnere war mit 2 SL und 17 Spieler*innen. Aber da waren dann auch schon mehr oder weniger alle Rollenspieler*innen, die ich kannte, in einem Wintergarten versammelt.
Außerdem habe ich gerade unglaublich Lust, eine solche Kampagne zu leiten, Das bietet sich ja bei einem großen Netzwerk potentieller Spieler*innen wie auf meinem Discord-Server geradezu an. Dieses neumodische Internet bietet nicht nur Nachteile.
So. Und JETZT sehe ich mir auch mal das Video an, das den ganzen „fuss“ ausgelöst hat. 😉