[Rezension] Orléans (Brettspiel)

Herrje! Was haben mir die Heidelberger denn da schon wieder geschickt! Die kennen doch meinen Geschmack und klaro – mit Super Dungeon Explore und Die Unterstadt kann man da nix falsch machen – aber – ORLÉANS?!? Also bitte – das ist mir viel zu kompliziert, zu europäisch, zu siegpunktig… 
Naja, jetzt liegt es schonmal hier rum, da kann ich es mir auch gleich mal ansehen und ein paar meiner Spießgesellen zu einer Runde anstiften.
Das Cover – (Co) dlp games
Name: Orléans
Verlag: dlp games (Vertrieb: Heidelberger)
Autor: Reiner Stockhausen
EAN: 4260184330188
Preis: ca. 49,95€
Alter: 12+
Spieler: 2-4
Dauer: 90 min
Genre: Deckbuilding, Siegpunkte, Mittelalter
BGG-Ranking: 91
Aufmachung
Da ist echt viel Kram in der Schachtel – vier Beutel, kleine Holzquader, -häuschen und -männesjen – dazu eine Gazillion Pappmarker jeglicher Couleur, ein fettes Spielbrett, ein kleineres Spielbrett und vier Spielertableaus. Klar. Damit komme ich schon klar… Nicht! Aussehen tut alles natürlich Clemens Franz-mäßig mehr als ordentlich und die Regel ist bis auf eine Kleinigkeit, die ich anders gemacht hätte, wirklich ausgezeichnet (und sogar bilingual in deutscher und englischer Sprache). Ihr wollt die Sache wissen, die ich anders gemacht hätte? Nun, ich habe ne ganze Zeitlang nach der Info gesucht, ob ich eine Aktion auch dann noch durchführen kann, wenn beispielsweise keine Figur mehr irgendwo zu erhaschen ist, man aber trotzdem vorrücken und von anderen Vorteilen profitieren könnte. So ganz zu 100% bin ich mir da immer noch nicht sicher, aber ich gehe davon aus, dass eine Passage im Abschnitt „Erlaubt/Verboten“ relativ eindeutig sagt, dass die Aktion dann nicht mehr durchzuführen ist. Das hätte ich lieber direkt vorne bei den Aktionen ganz präzise formuliert gehabt.
Ansonsten ist alles in Ordnung und das Spiel möge beginnen!
Das Spiel
Alter Schwede! Ist da vor Spielbeginn viel aufzubauen! Hoffentlich lohnt sich die Arbeit! Naja, immerhin ist es im Regelwerk alles ausgezeichnet erklärt und auch noch für Dödel wie mich optisch gut aufgearbeitet.
… in nur 13 kleinen Schritten (und bei der ersten Partie etwa 25 Minuten später) steht dann alles so, wie es sich gehört und es kann losgehen!
Das eigentliche Spiel findet nun in 7 Phasen statt, wovon eigentlich nur eine wirklich umfangreich ist, die anderen sind kleine Verwaltungsschritte, die sich schnell einschleifen.
1. Stundenglas: Eine von 18 Karten mit einem kleinen Ereignis wird aufgedeckt. Nach der Runde, in der die 18. Karte aufgedeckt wurde, endet das Spiel.
2. Volkszählung: Der Spieler mit den meisten Bauern bekommt 1 Geld, der mit den wenigsten muss 1 Geld löhnen (letzteres fällt bei 2 Spielern flach.)
3. Gefolgsleute: Zwischen 4 und 8 Gefolgsleute werden aus dem Beutel gezogen (je nachdem, wie weit man schon auf der Ritterleiste vorgerückt ist) und auf den eigenen Markt gelegt.
4. Planung: Auf dem Markt liegende Gefolgsleute können nun auf die Aktionsfelder verteilt werden.
5. Aktionen: Beginnend beim Startspieler werden die Aktionen ausgeführt, die in Phase 4 komplett aktiviert wurden.
6. Ereignis: Jetzt greift das Ereignis, das zu Beginn der Runde gezogen wurde (außer „Wallfahrt“ – das greift direkt zu Beginn).
7. Wechsel: Der linke Nachbar wird Startspieler
Hört sich einfach an und ist es dank der guten Darstellung auf den diversen Spielbrettern auch.Wichtig sind natürlich die Phasen 3-5 – vor allem 4, auf die ich an dieser Stelle genauer eingehen will.
So kann ich mit meinen Gefolgsleuten die unterschiedlichsten Dinge tun, um am Ende des Spiels mit den meisten Siegpunkten dazustehen.
Ich aktiviere das Bauernhaus – und bekomme einen Bauern. Nicht nur erhalte ich ein weißes Bauern-Gefolgsleute-Plättchen, sondern ich bekomme auch beim ersten Schritt direkt mal eine Getreide-Ähre, die in der Endabrechnung einen satten Punkt wert ist. Zusätzlich erhalte ich auch 1 Geld, wenn ich zu Beginn der Runde auf der Bauern-Leiste am weitesten rechts stehe. Ein weiteres Vorrücken bringt mir dann nochmal Getreide, dann Käse, erneut Käse, Wein, nochmal Wein und schließlich Wolle und Brokat ein, die später dann je nach Ware bis zu 5 satte Siegpunkte bringen. Aber Achtung! Drei der Ereignisse, die im Verlauf des Spiels gezogen werden, sorgen dafür, dass ich Steuern auf meine Ressourcen bezahlen muss – zu früh sehr viele zu haben, kann also ordentlich nach hinten losgehen.
… und das sind nur die Überlegungen, die ich beim dämlichen Bauernhaus anstellen muss – das ist mit großem Abstand das am leichtesten zu überblickende Element des ganzen Spiels…
So kann ich auch 3 Gefolgsleute ins Dorf schicken, wo ich dann jeweils einen Handwerker, einen Schiffer oder einen Händler nehmen kann und auf der jeweiligen Fortschrittsleiste voranschreite. Und ihr könnt euch denken, dass auch dieser Schritt auf der Leiste wieder eine riesige Auswirkung auf das Spiel hat.
An der Universität kann ich dann einen Gelehrten ausbilden – mir also einen passenden Gefolgsmann nehmen und auf der Leiste voranrücken, you know the drill…
In der Burg erhalte ich einen Ritter…
Im Kloster kann ich dann einen Mönch rekrutieren. Mönche sind die Allzweckwaffen in Orléans – sie kann man an Stelle jedes anderen „Gefolgsleuts“ einsetzen. (Leider darf man in Runden mit Wallfahrt keine Mönche rekrutieren und auch nicht solange man auf der Fortschrittsleiste des Handwerkers nicht mindestens einen Schritt gegangen ist.)
Mit einem Mönch und einem Ritter kann ich dann ins Skriptorium gehen und einen Entwicklungspunkt kassieren – sprich: meinen Holzquader auf der Entwicklungsleiste einen Schritt nach vorne bewegen. Das erhöht meine Entwicklungsstufe, was bei der Endabrechnung gar nicht übel ist und bringt auch unterwegs schon Boni in Form von Geld und Bürgern ein.
Will man unliebsame Gefolgsleute aus seinem Säckel loswerden, oder einfach nur etwas zum Allgemeinwohl beitragen, kann man bis zu zwei Personen ins Rathaus schicken. Von dort aus geht es dann direkt auf das Tableau der „segensreichen Werke“. Hier können sie nun diverse Aufgaben erfüllen wie den Papst wählen oder die Kanalisation ausbauen, was sie effektiv aus dem Spiel nimmt, aber mir Geld oder Entwicklungspunkte einbringt. Außerdem erhält man einen Bürger, wenn man ein solches Werk komplettiert. Auch keine üble Sache.
Drei wichtige „Befehle“ kann man noch mit seinen Gefolgsleuten durchführen: mit dem Schiff reisen, mit dem Wagen reisen oder ein Gildenhaus bauen. Diese drei Dinge spielen sich auf der rechten Seite des Spielbretts ab, wo man fröhlich durch das Loire-Tal reisen kann und Ressourcen abgreifen, sowie Kontore bauen, die später bei der Schlussabrechnung ordentlich Punkte geben.
Eieieieiei! Ich wette ihr kapiert nur Bahnhof – aber keine Angst, wenn ihr das Spielbrett vor euch liegen habt, wird auf einmal ein Schuh draus.
Nach 18 Runden ist dann Schicht im Schacht und es kommt die große Endabrechnung – nun gibt es Punkte für unterwegs verdientes Geld, für im Besitz befindliche Waren und dann durch eine Kombination aus Kontoren und Bürgerplättchen. Was? Ihr habt bis hierhin gelesen und wollt es nun genau wissen? Okay! Die Formel lautet: (Kontore plus Bürgerplättchen) mal Entwicklungsstand.
Und genau hier liegt der Haupt-Reiz des Spiels – bisher habe ich noch keine ideale Möglichkeit herausfinden können, Punkte zu scheffeln. Es gibt Trilliarden von Ansätzen und es gilt hier auch die Gegner immer im Auge zu behalten – gerade in der 3. und 4. Phase, die parallel verlaufen (was die Downtime sehr positiv reduziert).
Fazit
Volltreffer! Obwohl es so gar nicht mein Genre ist, ist das Ding bei mir persönlich richtig eingeschlagen. Ich überlege schon, woher ich da Mitspieler für die nächsten Partien rekrutieren kann, denn meine üblichen Spielrunden werde ich da kaum für begeistern können. Ich will jetzt sofort weitere Methoden ausprobieren, wie man es am Schluss zu einer fetten Punktausbeute bringt. Sofort!
Sehr gut gefällt mir auch, dass das Spiel zwar zu zweit ein wenig an Interaktion einbüßt, aber immer noch ganz ausgezeichnet spielbar ist – in Hinblick auf die Wartezeiten sogar noch besser. Zu viert ist tatsächlich die perfekte Spielerzahl. Da schwirrt einem total der Kopf und vor allem die Aktivität im Tal der Loire wird viel unübersichtlicher und deutlich heißer umkämpft als zu zweit, wo man sich recht gut aus dem Weg gehen kann.
Zudem hatte ich lange nicht mehr ein Spiel mit solch klarer Ikonografie vor der Brust – bis auf zwei kleine Regelunklarheiten (die sich mittlerweile auch in Wohlgefallen aufgelöst haben) wird da alles durch die verwendeten Grafiken völlig sinnvoll aufgedröselt, wodurch die Komplexität sehr nett auf ein solches Niveau abgemildert wird, dass auch ich Spaß an dem Spiel haben kann – an dieser Stelle ein Lob dafür an die Herren Stockhausen und Franz!
P.S.: Huiuiui! Habe gerade gesehen, dass es ein „Fan-Kit“ und eine Erweiterung „Orléans – Invasion“ gibt – ersteres mit Holz-Material anstelle der papp-Marker und letzteres ein kooperatives Verteidigungsspiel mit 3 Solo-Szenarien. Ich bin schon ganz aufgeregt!
P.P.S.: Habe ich schon „Easy to learn – hard to master“ gesagt?!?
P.P.P.S.: Und jetzt nachträglich her mit dem Kennerspiel-Pöppel 2015!
Bewertung
5 von 5 Technik-Räder