Die Macher des Doku-Filmes Secrets of Blackmoor haben einige Schnipsel ihres Interviewmaterials frei auf Youtube zur Verfügung gestellt. Ich habe mir ein etwa zehnminütiges Interview mit den beiden Blackmoor-Veteranen James Laferrier und Greg Svenson angesehen und mal auf die Frage hin abgeklopft, was wir über den Spielstil von Dave Arneson, einem der beiden Schöpfer von Dungeons & Dragons, erfahren können…
Über Laferrier erfahren wir, dass er 1973 zu Arnesons Kampagne stieß, als man sich gerade dabei befand, die Regeln gegen Ende des Jahres zu drucken und zu verkaufen. Svenson ist als „The Great Svenny“ einer der ursprünglichen Spieler des großen Meisters und ich erwähne immer gerne, dass ich mit ihm zum Ende der 2000er Jahre eine längere Online-Kampagne gespielt habe – ein netter Typ und kreativer Rollenspieler.
Was aber erzählen die beiden im Interview?
Blackmoor war eine große Welt mit vielen Spieler*innen/Charakteren, die nicht alle zur selben Zeit und am selben Ort an der Handlung beteiligt waren. (Ich habe gelesen, dass die Kampagne etwa 50 Spieler*innen umfasste – die natürlich nicht alle gleichzeitig am Tisch saßen, sondern mal hier, mal da in wechselnder Besetzung das Schicksal der Welt beeinflussten.)
Blackmoor war nicht nur eine Stadt (und ein Dungeon), sondern es gab neben einer geplanten Zeitlinie mit Invasionen und politischen Entwicklungen auch Auswirkungen von Wetter, Hungersnöten oder Seuchen.
Es gab kein Railroading – das heißt, die Charaktere wurden nicht in eine Richtung gedrängt, sondern konnten die Welt frei erkunden und bereisen – schluckten sie aber beispielsweise eine Abenteuerhaken nicht und taten etwas anderes, hatte dies Konsequenzen auf die Hintergrundwelt. So wurde beispielsweise einmal Blackmoor von Orks überrannt.
Arneson hielt das Geschehen nach, wodurch es ihm gelang, eine lebendige Welt zu erschaffen.
Höherstufige Charaktere konnten sogar so weit in die Welt eingreifen, dass sie Festungen, Dörfer oder gar Baronien errichteten und beherrschten.
Hobbit-Vampire! Es gab frickin‘ HOBBIT-VAMPIRE!!!!
Das Hauptziel war, dass jede*r Spaß haben sollte. Jede*r war am Spielfluss beteiligt. Charaktere starben nur sehr selten. (AHA! Das geht nur, wenn man es mit den Regeln sehr lax hält! Gotcha, Dave! Statistisch mussten OD&D-Charaktere ungefähr alle zwei Minuten sterben – das ist wissenschaftlich erwiesen. 😉
Spieler*innen verstorbener Charaktere wurden mit ins Spiel eingebunden, indem Arneson ihnen die Rollen von NSC (Nichtspielercharakteren) oder gar Monstern übertrug.
Der Interviewer arbeitet zurecht heraus, dass sich diese gigantische Kampagne mit ihrer immer weiter wachsenden und sich entwickelnden Welt komplett anders entwickelte als die meisten Kampagnen zu dieser Zeit und zu Beginn des D&D-Hypes, als sich das Augenmerk vor allem in die Dungeons richtete. Er vermutet, dass es in der Person Arneson begründet war und ich denke auch, dass es tatsächlich schon hier die Tendenz gab, komplette Welten zu erschaffen und den Spieler*innen als Spielwiese zur Verfügung zu stellen.
Auch, wenn ich einige Punkte zusammengefasst habe, lohnt es sich, das ganz oben verlinkte Video anzusehen, da die Musikuntermalung klasse ist und immer mal wieder Ausschnitte einer Original-Stadtkarte von Blackmoor und einer Karte der kompletten Welt eingeblendet werden. Wunderschön. Ich liebe alte Karten. Und diese hier sind locker 35-38 Jahre alt…
Seitdem ich nicht mehr die Energie hatte, mich vehement um Labyrinth Lord zu kümmern, hält Karl-Heinz Zapf die Old-School-Fahne im Mantikore-Verlag hoch – und zwar mit seiner (vage an Warhammer 1 erinnernden) Schnutenbach-Reihe! Pünktlich zur SPIEL 2019 erschien dann auch der neue Abenteuerband – dieses Mal sogar in Farbe. Und, ihr werdet es nicht glauben, aber gerade bei den Karten macht sich das extrem positiv bemerkbar.
Produkt: Der Klang des Untergangs
Autor: Karl-Heinz Zapf
Verlag: Mantikore
Aufmachung: Softcover, 52 Seiten, vollfarbig)
Erscheinungsjahr: 2019
Preis: 9,95€
ISBN: 9-783-96188-101-7
Gestaltung
Buuuuunt. Schick. Ein wirklich schönes Layout mit einer irgendwie babylonisch anmutenden Seitenstreifen, der sich durch das ganze Heft zieht. Es gibt viele bunte Monster-Illus und andere Zeichnungen, aber besonders die wirklich schönen, aber etwas unzweckmäßigen Dungeon-Karten möchte ich hier hervorheben. Die sehen toll aus. Von den Dimensionen her sind sie nicht sonderlich aussagekräftig, aber man erkennt immer sehr gut die Funktion des Raumes.
Karl-Heinz, darf ich etwas anmerken? Dein Layout ist super, aber mehr auf Schönheit, als auf Lesbarkeit und Übersicht ausgerichtet. Schau dir mal ein paar Dungeonslayers-Sachen an und guck dir wenigstens ein paar Kleinigkeiten davon ab – ein Mittelweg wäre hier perfekt!
Inhalt
Dass Schnutenbach ein Warhammer 1/2 mit abgefeilter Seriennummer und ohne Spielwerte ist, muss ich euch Seifenkistinis sicher nicht sagen, oder? Dafür schätze ich das Setting übrigens wirklich – das ist in so ziemlich jeder Fantasy-Welt und in jedem System zu verorten. Gut gemacht, KH Zapf!
Hmmmm… Der Band enthält Hintergründe zu den Uzzgur (Dunkelzwergen) und den Magrond (Morloks) der Schnutenbach-Welt.
Abenteuer-Aufhänger ist eine Glocke, die in den Bergen unweit von Schnutenbach erschallt. Anschließend verschwinden unbescholtene Bürger – klarer Fall, dem muss auf den Grund gegangen werden. (An dieser Stelle ein großes „Lob“ für die Namen: Rüdiger, Wolfram Angstmann, Khazim Steinbeißer…). Der Grund findet sich, wie es bei uns alten Leuten üblich ist, natürlich im letzten Raum eines schicken Dungeons. Außerdem gibt es schon auf dem Weg dorthin alles – Nachtalben, eine Schlucht des Todes, Wasserleichen, Kannibalen… (alles ein wenig linear, wenn ich das mal sagen darf, aber komm schon – hier ist echt ordentlich was los!)!
Schließlich landen wir im ersten der zwei Dungeons und hier spielt der Autor seine Stärke aus. Der Dungeon ist von Layout, Fallen, oder Interaktion nicht schrecklich außergewöhnlich, aber es ist alles gut beschrieben und die Interaktion der Charaktere mit der Umgebung kann nach kurzer Einarbeitung der Spielleiterin problemlos und ohne Handgewedel stattfinden. Großes Lob hier! Auch gibt es etliche interessante Begegnungen, wie den Peitschenwurm oder eine riesige Amöbe und jede Menge abgefahrener Sachen zu finden. Es ist nichts langweiliger als der typische DSA-Dungeon, der zwar in sich völlig plausibel ist, aber irgendwie immer klinisch wirkt. Yepp. Hier geht es ordentlich los! Klasse! Und hab ich schon gesagt, was es hier für geilen Kram zu finden gibt? Ach so… hab ich… Sorry! Es ist mit mir durchgegangen!
… und ist der Dungeon erst einmal „besiegt“, so führt ein Gang direkt in den benachbarten Gewölbekomplex, wo es dann erst so richtig losgeht. Hier bekommt man es nämlich im Dutzend billiger mit den kannibalischen Magrond zu tun, die sich hier häuslich niedergelassen haben.
Hat die Gruppe dann die titelgebende Glocke in ihren Besitz gebracht, so gilt es noch diese sicher unterzubringen oder zu zerstören, aber irgendwie ist nie ein Schicksalsberg zur Hand, wenn man ihn braucht…
Fazit
Mir persönlich ist der Weg zum unterirdischen Komplex etwas zu ausgewalzt und zu geradlinig, aber sobald man sich im Dungeon befindet, kann es amtlich losgehen – das ist ein „Funhouse“-Dungeon im besten Sinne mit vielen Dingen, die es zu erforschen und zu planieren gilt.
Zusätzlich wird das Schnutenbach-Universum noch um zwei neue Völker erweitert, auf die man sich beim Erweitern der eigenen Kampagne stützen kann. Es geht einfach nichts über eien interessante Hintergrundwelt. Und sowohl die Herangehensweise an die Dunkelzwerge, als auch die eklig degenerierten Magrond machen wirklich Spaß!
Letzte Woche kam der Uhrwerk-Kickstarter von Die Verbotenen Lande mit allen Schikanen bei mir an. Ausgezeichnet, wenn man bedenkt, dass der Verlag schon erledigt war und ich das Projekt schon (leise) zähneknirschend abgeschrieben hatte. Aber Patrics Jungs und Mädels haben bis zuletzt hart gerödelt und so war zur SPIEL in Essen alles fertig und jetzt wurden die crowdgefundeten Sachen verschickt. Ich werde sie nicht rezensieren können, aber zu einer Kurzvorstellung des hexcrawligen und recht old-schooligen Rollenspiels der (alten?) Schweden von Fria Ligan sollte es allemal reichen…
Dass hier gemeinsam eine unbekannte Welt erforscht wird, gefällt mir schonmal sehr gut. Daher präsentiere ich euch hier vorab die 7 Spielprinzipien der Verbotenen Lande, damit ihr wisst, worauf ihr euch einlasst…
Die Welt liegt vor euch – 2. Das Land ist voller Legenden – 3. Die Abenteurer bestimmen ihr eigenes Schicksal – 4. Nichts ist umsonst – 5. Wer hat, der soll’s verlieren 6. Der Tod gehört dazu 7. Das Ende ist immer offen
Schön, oder! Also mir gefällt’s und ich habe große Lust, direkt loszulegen…
Schicke Würfel von Q-Workshop – und zwar vier W6-Basiswürfel, drei W6-Fertigkeitswürfel, zwei W6-Ausrüstungswürfel, ein W8-Artefakt-Würfel, ein W10-Artefakt-Würfel und ein W12 Artefaktwürfel. Schick-schick. Spezialwürfel sind immer gut!
Das Kartenset enthält 22 Artefaktkarten, 8 Reittierkarten, 14 Kampfkarten, 10 Initiativekarten und 1 Übersichtskarte. Ich mag ja hilfreiche kleine Karten, die einem oft einiges an Blättern ersparen…
Ich habe ihn noch nicht geöffnet, aber er behauptet von sich selber, dass er ein „Deluxe-Spielleiterschirm“ sei – und wer bin ich, dass ich die Aussage eines SL-Schirms bezweifle.
Dieser kleine Abenteuerband (Softcover, 72 Seiten) enthält vier Abenteuerschauplätze – perfekt, um die Hexcrawl-Kampagne zu erweitern und noch mehr schicke und tödliche Locations zu platzieren…
Der Zorn des Raben (gebunden, 224 Seiten) ist DIE Kampagne zu VR. Erst nach dem Erforschen von 8 gefährlichen Abenteuerschauplätzen gibt es das epische Finale im Kampf um die Elfenkrone Stanengist.
Was soll ich sagen? Die Box ist echt schwer und gut gefüllt – Spielerbuch, SL-Buch, Legenden & Abenteurer-Band, 2 Landkarten, 2 Aufkleberbögen.
Die Landkarte, auf der sich die Hexcrawl-Kampagne entfalten kann, ist gleich zweimal enthalten, damit man mit zwei Gruppen gleichzeitig unterwegs sein kann…
Auch die Aufkleber gibt es doppelt. Gefällt mir super, dass die Welt nicht von vorneherein feststeht, sondern sich im Laufe des Spiels entwickelt. Geiles Konzept.
Ein hilfreicher kleiner Band. Enthält Zusammenfassung der Abenteurerinnengeneration und tolle Tabellen zu den Heimatregionen. Außerdem gibt es einen Legendengenerator, um auf den Reisen der Gruppe schnell kleine Geschichten präsentieren zu können und sogar einen Monstergenerator…
Das Spieler-Handbuch (gebunden, 212 Seiten) enthält Grundregeln wie Charaktererschaffung (besonders in Kombi mit dem Legenden-Band), Kampfregeln, Magieregeln, Reiseregeln und alles, was mit dem Errichten von Festungen zu tun hat – ja, die Namensstufe von D&D Classic lässt schön grüßen…
Das gebundene Spielleiter-Handbuch hat satte 264 Seiten und schildert die Geschichte der Region, beschreibt Völker, Monster, Artefakte und kommt direkt mit 3 Abenteuerschauplätzen daher und erklärt, wie man selber Abenteuerschauplätze erstellen kann. Stabil, das Ganze!
Nachdem ich gestern erzählspielerisch von der Seifenkiste herunterqäkte gibt es heute wieder etwas ordentlich Old-Schooliges. Was sage ich – den Inbegriff des Old-Schooligen: Ein Abenteuer Spielbuch, äh… Spielheft!
Ich habe erst auf der gerade beendeten 2019er SPIEL in Essen herausgefunden, dass der Mantikore-Verlag schon 2016 dieses kleine in der Welt des Einsamen Wolfes spielende Abenteuer von Alex Kühnert herausgebracht hat. Shame on me.
Produkt: Die Jünger der Finsternis
Autor: Alex Kühnert
Verlag: Mantikore
Aufmachung: DinA 4, 41 Seiten, 120 Abschnitte
Erscheinungsjahr: 2016
Preis: 4,95€
ISBN: 978-3-945493-78-6
Gestaltung
Hier gibt es nichts zu sehen. Bitte gehen Sie weiter. Okay, es gibt das klassische aufgeräumte Einsamer Wolf-Layout – was ja auch dringend notwendig ist, da man ja immer hin- und herblättern muss, um von Abschnitt zu Abschnitt zu springen. Ungewohnt ist das Format als A4-Heft, aber daran gewöhnt man sich schnell und ich denke dies ist der richtige Zeitpunkt, um die echt gelungenen Illus von Stephanie Böhm hervorzuheben. Ich zeige euch mal ein Beispiel:
Inhalt
Ich werde euch nicht mit Regelkram langweilen, jede*r Seifenkistenleser*in hat sicher schon eine Bazillion Einsamer Wolf-Spielbücher verschlungen – daher sei nur gesagt, dass es auch hier die beiden Werte „Kampfstärke“ und „Ausdauerpunkte“ gibt, die im Kampf wichtig sind und in nach dem Würfeln eines W10, oder dem Tippen auf ein Raster mit Zufallszahlen auf der Kampfresultat-Tabelle abgeglichen werden. Sinkt die Ausdauer auf 0, ist Feierabend. Bäm. Dazu gibt es noch eine Überlebensfertigkeit und speziell in diesem Abenteuer auch Kräutlerkenntnisse auszuwählen. Fast am wichtigsten ist hier aber die Wahl des Rucksackinhaltes in Textabschnitt 1, denn der Autor spielt sehr gerne mit der Knappheit der Ressourcen und oft ist es wichtig den „richtigen“ Gegenstand zur Hand zu haben.
In dieser kurzen Episode spielen wir die Kräutlerin Tessa, die als Kriegsflüchtling bei den Druiden von Bautar aufgenommen wurde. Nun erhält sie den Auftrag, den Jungen Ralain in die Finsteren Länder zu eskortieren. Zuerst ist der Bub störrisch und nervig – zudem noch dafür bekannt allem und jedem Streiche zu spielen, aber mit der Wahl des richtigen Spielzeugs *knick-knack-Sie-wissen-schon* kann man sich schnell anfreunden und eine richtige Bindung zu dem Racker aufbauen.
„Historisch“ betrachtet befinden wir uns nach dem Sieg gegen die Schwarzen Lords, aber das Land ist immer noch pechschwarz und vergiftet – Druiden und Magier versuchen nun gemeinsam, es wieder urbar zu machen. Wir reisen also mit einer Karawane nach Süden, erleben so Einiges, was ich nicht spoilern will, freunden uns immer weiter mit Ralain an und haben so manches Flashback zu unserer Zeit, als wir noch vor dem Krieg flohen. Im besten Fall kommen wir dann auch in Sonnental an und erhalten unseren ersten Auftrag…
Ich war wirklich beeindruckt, wie Alex es schafft, den leicht schwurbeligen 80er Jahre Fantasy-Stil von Joe Dever zu treffen und Personen, Monster und Rätsel in die Welt des Einsamen Wolfes einzubauen. Der Kerl kennt sich wirklich gut auf Magnamund aus.
Fazit
Ich bin echt etwas verwundert, dass mir das gute Stück so lange entgangen ist. Ich denke einen günstigeren Einstieg in die Welt der Spielbücher wird man nicht bekommen – und auch mechanisch, inhaltlich und sprachlich ist dieses Heft bestens dazu geeignet, einen kleinen Einblick in diese nischige Literatursparte zugeben. Aber auch Spielbuch-Veteran*innen werden ihren Spaß haben, da man ebenso auf viele lieb gewonnene Klischees wie auch interessante Ideen trifft, die Sprache angenehm „bekannt“ ist und man hier mal ein kleines Abenteuer abseits der großen Weltenrettungen des EW spielen kann. Ich hatte etwa 2 Stunden lang meinen Spaß und möchte eine klare Empfehlung aussprechen.
Am 21.11.19 durfte ich an einer gestreamten Runde Lovecraftesque teilnehmen und möchte hier (vielleicht erstmals – ich erinnere mich nicht genau) kurz von der Seifenkiste herab erzählen, was da alles so passiert ist…
Als kurze Vorbemerkung sei gesagt, dass ich zu großen Teilen mitgespielt habe, da ich das Spiel gerne unterstützen würde – da es sich gerade im Crowdfunding befindet und soeben auf die Zielgerade geht. Schade, dass die Seifenkiste nicht mehr so eine große Nummer ist, wie vor 10 Jahren, dann hätte meine Leser das Projekt wohl alleine durch’s Ziel gepeitscht…
Wie ihr wisst, bin ich kein großer Charakterdarsteller und hier handelt es sich um ein reinrassiges Erzählspiel, bei dem kein einziges Mal gewürfelt wird. Ende des Werbeblocks – seht euch einfach die Verlags-Homepage an, wenn ich gleich mit meinem Spielbericht euer Interesse geweckt haben sollte. Derzeit könnt ihr euch die Runde scheinbar noch auf Twitch ansehen – keine Ahnung, ob das in Folge auch bei Youtube bereitgestellt wird. We’ll see.
Um es mit meinem italienischen Freund Mario zu sagen – letsa go!!! Überraschenderweise gab es von meiner Seite aus keine technischen Probleme und die anderen waren da als Veteranen ohnehin nicht verdächtig Probleme zu bereiten. So hatte pasuht im Hintergrund technisch alles im Griff, Der Verlag in Person von Dyn sprach ein paar einleitende Worte und bäm! wurden wir alle ins kalte Wasser geworfen.
An meiner Seite hatte ich Thorsten P., den Übersetzer des Spiels, der (da es keine Spielleitung gibt) nicht spielleitete, aber uns regeltechnisch durch die Runde führte und ansonsten ganz normaler Mitspieler war, den echt beeindruckend gut in Charakter spielenden David und die perfekt aufgelegte und mehr als fantasievolle Nacchi. Okay, ich kam mir von Anfang an etwas grobschlächtig vor, hoffe aber, dass ich mich einigermaßen gut geschlagen habe.
Die „Regeln“ sind schnell erklärt: Wir einigen uns auf ein grob beschriebenes Setting, erzählen dann in den rotierenden Rollen: Erzählerin, Zeugin und Beobachterin 1 + 2 durch 5 Szenen, an deren Ende der Abstieg ins Dunkle beginnt. In weiteren (bis zu 3) kürzeren Szenen geht es dann immer rasanter werdend auf den großen Schlusskonflikt zu. Anschließend kann man kaum noch durchatmen, denn es folgen 15 kurze Fragmente, in denen immer nur eine Person wahlweise Erzählerin, Zeugin oder Beobachterin ist. Danach ist die Zeugin tot, wahnsinning, lebt noch… und es folgt ein Epilog, der die Folgen der Geschichte auf die Menschheit zeigt… (Okay, es gibt noch Details – so wird sich nach jeder Szene auf ein weiteres Merkmal der Zeugin geeinigt, dass alle Mitspielenden sich ein immer besseres Bild machen können.)
Für mich DER Mechanismus des Spiels, besteht aber darin, dass jede Szene mit einem Hinweis endet. Dieser Hinweis ist ein in irgendeiner Form mysteriöses Geschehen und die Mitspieler*innen spekulieren jede*r für sich, was es mit diesem Hinweis auf sich haben könnte. Durch diesen Kniff entsteht in jedem Kopf eine eigene Geschichte, die man immer weiter an das weitere Geschehen anpassen muss, bis es zum großen Showdown kommt.
Jetzt aber los: Wir einigten uns auf die Heldin Margaret Greenborough im Neuengland der 1920er jahre. Sie ist langjährige Studentin und Bibliothekarin an der Universitätsbibliothek. An Orten erwähnten wir direkt zu Beginn die Bibliothek, das unterirdische Archiv, den Friedhof, ein Wohnheim und eine Höhle auf dem Campus (wobei letztere überhaupt nicht keine Rolle mehr spielte).
Außerdem erdachten wir eine Quelle der Kraft – ein ledergebundenes Notizbuch ihrer Tante Amalie, das ihr in Zeiten der Not gute Dienste leisten könnte – aber auch das spielte im Laufe der Geschichte keine Rolle mehr.
Zum Einstieg zeige ich euch meine Notizen zu den einzelnen Szenen, dann erhaltet ihr gleich einen guten Eindruck, wie die Geschichte sich entwickelte und was in meinem Kopf vorging. Super-interessant war es dann auch, im Anschluss abzugleichen, was wir alle uns so vorgestellt hatten.
Okay. Mechanisch wisst ihr nun alles – ich erzähle mal grob, was Maggie so alles mitmachen musste: Die Geschichte begann wenig spektakulär. Sie suchte im Archiv ein Buch für einen ihr unbekannten Professor, wurde abgelenkt von einer Woge von Insektenkörpern, die in eine Ecke des Archivs strömte. Es gelang ihr einen der Käfer mit einem Poe-Buch zu erschlagen und mit an ihren Platz zu nehmen, um ihn genauer zu betrachten. Als ihr Kollege Andrew Smith hinzukam, war das goldene Insekt allerdings verschwunden. Um den Kopf freizukriegen schlenderte sie nachts über den Friedhof (logisch wohin sollte man sich sonst auch wenden) und stellte fest, dass die Tür eines Mausoleums geöffnet war – darin hörte sie zuerst krabbelndes Kratzen, dann das Zerschmettern einer Steinplatte. Auch der goldene Käferflügel im Türschloss trug nicht zu ihrer Beruhigung bei. Sie versuchte erfolglos, sich beim hosenlosen Hausmeister Hilfe zu holen (Wow! Ein unbeabsichtigtes Alliterationen-Feuerwerk). Im Wohnheim traf sie aber auf Andrew, der sie zum Mausoleum begleitete. Warum, bitte sehr, lag in Andrews Zimmer das Buch, das Professor Johnson aus dem Archiv bestellt hatte?
Im Mausoleum war nur noch festzustellen, dass ein Sarg geöffnet worden war und an seinem Boden eine Treppe in die lichtlose Dunkelheit führte, dann wurde ihr schwarz vor Augen.
[Einschub] Sorry, aber an dieser Stelle war es für mich sonnenklar, dass Andrew und der Professor Teil eines Käferkultes waren und ein schlimmes Spiel mit Maggie spielten – gerade, dass ihr gerade zu diesem Zeitpunkt schwarz vor Augen wurde, erhärtete diesen Verdacht! Ich sage nur: „Andrew hat mich betäubt! Die Sau!“ Total interessant, wie sich die Geschichte verselbständigt hatte – ich hatte bisher meinem Empfinden nach nur wenige Elemente in die Story eingebracht, dennoch bot sich vor meinen Augen ein völlig klares Bild dar – und vor den Augen meine Mitspieler*innen ein völlig anderes, das wir immer aufeinander anpassen mussten. Das war toll zu erfahren, wie sich da Synergien entwickelten und wie Maggie an ihren Aufgaben wuchs und sich eine immer größere Bedrohung aufbaute.
Maggie wachte im Archiv der Bibliothek auf und kurz schien alles nur ein Traum gewesen zu sein, aber der Glasabdruck auf dem Buch „Arcanum Curiosum“ bewiesen dann doch, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zuging. Maggie nahm sich das Buch mit auf ihre Bude, um es genauer zu studieren. Es handelte von magischen Kulten in der Gegend um Boston. Einer der Kulte zog im Besonderen ihre Aufmerksamkeit auf sich. Eine Farb-Illustration zeigte eine Gruppe Kultisten, die um eine gigantische Statue eines goldenen Käfers herumstand und in ein Ritual versunken zu sein schien – überall krabbelten goldene Käfer. Es durchfuhr sie wie ein Blitz – eines der Gesichter kam ihr bekannt vor.
Ab diesem Moment lief für Maggie wie auch für mich als Spieler alles in kurzen aufflackernden Blitzlichtern statt. David übernahm nach kurzer Absprache das Ruder und plötzlich befand sich Margaret inmitten der Szene auf dem Bild. Allerdings war Andrew nicht das einzig bekannte Gesicht auf dem Bild, auch sich selbst erkannte sie voller Schrecken. Der Rest ist ein einziges Gedankeninferno. Hohepriesterin. Ein Obsidiandolch. Blut. Käfer…
Den Epilog erzählte dann Nacchi und er war ungefähr so, wie ich mir das vorgestellt hatte, nur schöner erzählt. Ja, wenn ich in Zukunft goldene Käfer sehe, werde ich definitiv auf der Hut sein.
ENDE!
Da bleibt mir nur noch, den beiden Orga-Leuten, pasuht und Dyn für Technik und Einladung zu danken! Danke Thorsten für das souveräne Anleiten und deine ruhige Art, die mir immer eine gewisse Sicherheit gegeben hat. Danke David für deine echt schöne Darstellung vor allem in den ruhigeren Momenten und ein paar zustimmende Grinser. Danke Nacchi für deine offene und freundliche Art, deine tollen Ideen und die Tatsache, dass wir scheinbar einige Male den gleichen Unsinn im Kopf hatten…
Vielleicht habt ihr jüngst auf meinem Blog etwas zu unserer Blog-Fassung des Lovecraftesque-Erzählspiels gesehen. Falls ihr das auch nur annähernd interessant fandet, habe ich eine gute Nachricht für euch.
Der brandneue Schmetterting-Verlag hat gerade ein Crowdfunding am Start, bei dem ihr euch dieses schicke SL-lose Erzählspiel sichern könnt. Gefordert sind 6000€, derzeit liegen wir bei 3800€, es ist also noch ein gutes Stück Weges zu gehen, aber ich bin doch recht optimistisch, dass das Finanzierungsziel geknackt werden wird, aber vielleicht schaffen wir es ja, das eine oder andere Stretchgoal zu reißen – gerade in Anbetracht der Tatsache, dass der Betrag des Projekts langsam, aber stetig ansteigt und die Deadline erst am 20.12.19 ist…
Zur Beschreibung des Systems bediene ich mich mal schamlos eines Zitats aus dem Text der Crowdfunding-Seite:
„Lovecraftesque ist ein spielleitungsloses Erzählspiel über brodelnden, kosmischen Horror und bedient sich Themen sowie Elementen, die aus Lovecrafts Geschichten und Mythos bekannt sind. Sie werden in einer sich langsam entwickelnden Geschichte seltsame Hinweise enthüllen und voreilige Schlüsse ziehen. Sie entsenden die gemeinsam geführte Hauptfigur auf eine Reise, die schließlich auf eine fulminante Abschlussszene kosmischen Ausmaßes hinführt.“
Geil, oder? Für 35 Euro bekommt ihr das Regelwerk, für 5 Euro mehr noch das PDF dazu, ich denke, das kann man mal locker machen, um einen jungen Verlag zu unterstützen und mal ein lovecraftigeres Spielerlebnis zu haben, als mit dem Cthulhu-Rollenspiel… 😉
Um euch einen kleinen Einblick zu geben, wird am 14.11. um 20 Uhr bei Twitch eine kleine Demo-Runde zu sehen sein, an der ich auch teilnehmen darf – ich bin echt mal gespannt, wie ich mich da schlage – wo ich doch nur Zwergenkämpfer spielen kann… Mehr dazu bei Twitter.
Auf der SPIEL in Essen habe ich ein paar schicke Rollenspielsachen mitgebracht, die ich euch hier kurz vorstellen möchte – mit besonderem Augenmerk auf die old-schooligen Geschichten – bei „old-school“ fällt einem derzeit vor allem der System Matters-Verlag ein, der sich weiterhin um neues Material für Beyond the Wall verdient macht!
Produkt: Die Magie der Träume … und andere Abenteuer
System: Beyond the Wall
Autor*innen: Jonas Boungard, Peter S. Williams, Sarah Jacob (auch Hrsg.) und Karsten Zörner
Verlag: System matters
Aufmachung: Softcover, A4, vollfarbig (äh, grün vor allem), 64 Seiten
Erscheinungsjahr: 2019
Preis: 14,95 Euro
ISBN: 978 3 96378 039 4
Gestaltung
Tja, das schwer ölgemäldig aussehende Cover passt wirklich gut zu dem Traum-Thema und das klassische, aufgeräumte Layout in schwarz-grün von Marc Meiburg gefällt mir schon immer ausgezeichnet und zieht sich durch die gesamte BtW-Reihe. Die Illustrationen sind nicht genau das, was man von klassischer Fantasy erwartet, sondern gehen irgendwie etwas mehr in Richtung Märchen, gefallen aber spätestens ab dem zweiten oder dritten Blick ganz ausgezeichnet.
Inhalt
Hier wird Traumhaftes geboten – die ersten 7 Seiten befassen sich (seeeehr kurz) mit neuen „Charakteren“ bei Hofe. Okay, um ehrlich zu sein, werden nur kurz Hinweise gegeben, wie man während der Erschaffung des Dorfes adelige Charaktere einbaut und es gibt Werte für alles, was so im Adelshaus kreucht und fleucht – vom fremdländischen Würdenträger über den Stalljungen bis zum treuen Jagdhund.
Aber das war nur der Aufgalopp, denn jetzt folgen 3 komplette Abenteuer und sieben neue Charaktere.
Abenteuer Nummer 1: Dergeöffnete Grabhügel befasst sich, nun ja, eben mit einem geöffneten Grabhügel. Aufügeln.grund der tabellarisch-modularen Natur von BtW-Abenteuern könnte ich euch nun gar nicht spoilern, selbst, wenn ich es wollte. Irgendetwas hat dafür gesorgt, dass die Totenruhe in einem Cairn gestört wurde – und das muss das Dorf unserer Helden nun ausbügeln. Klar, dass nur unsere Charaktere in Frage kommen, die Gefahr abzuwenden.
Ich sage es gleich vorweg – in diesem modularen Ansatz der Abenteuer steckt für mich – neben der Charaktererschaffung und dem gemeinsamen Bau des Dorfes – der große Unterschied zu „wahren“ OSR-Systemen, bei denen Abenteuer genau festgelegte Gefahrenorte für die Spieler*innengruppe bereitstellen. Bei BtW würfelt sich die Spielleiter*in mit Zufallstabellen durch das Abenteuer, was in sich absolut dem old-schooligen Geist entspricht, den ich so sehr liebe, aber negativ betrachtet, fehlt mir dann das Fleisch an den Knochen. So finde ich beispielsweise das Grabhügelabenteuer super, bis zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Ort wirklich beginnt, eine Rolle zu spielen. Hier wäre mir dann ein genau ausgearbeiteter Hügel mehr wert, als drei ausgewürfelte Leitfragen: „Wer oder was bewacht den Zugang?“, „Welche Herausforderungen warten im Inneren?“, „Was passiert in der Grabkammer?“ Wenn ich da vielleicht bitte eine Mischung haben könnte? Eine Art Kompromiss?
Das titelgebende Abenteuer 2: Die Magie der Träume treibt uns dann in Morpheus‘ Arme. Hier wird unser Dorf von einem Zauberschlaf bedroht, der irgendwie nur schlafend beendet werden kann – glücklicherweise weniger lovecraftig, als es sich anhört, denn ich bin kein Freund von HPs Traumlanden. Hier gilt es dann sehr klassisch drei Teile eines Maguffin einzusammeln, mit denen die Gefahr gebannt werden kann. Von der Sache her alles leicht absehbar, aber voller toller Ideen, sodass Sowohl Spielleiter*in als auch Spieler*innen öfter überrascht werden werden, als ihnen lieb ist.
Das dritte Abenteuer heißt Fernweh und handelt davon, dass den Charakteren ihr Dorf einfach zu klein wird. Was wäre da naheliegender, als sich als Begleitschutz von einem durchreisenden Händler anheuern zu lassen. In den letzten 45 Jahren Rollenspiel wurden so sicher Millionen von Charakteren in die große weite Welt transportiert. Auch hier gibt es wieder etliche Wendungen, die die tabellengenerierte Geschichte nehmen kann. Diese Art von Reise-Abenteuer funktioniert in meinen Augen ausgezeichnet mit BtW. Hier hab ich echt nichts auszusetzen.
Im Anschluss an die Abenteuer folgen die neuen Charaktertypen. In meinen Auge ist ja das Erschaffen des Dorfes und der Charaktere das ganz große Pfund, mit dem BtW wuchern kann. So wählt man den Charaktertyp aus, den man spielen möchte und würfelt sich denn mit Hilfe von 6 Tabellen durch die Kindheit und Jugend der Spielfigur. Am Ende stehen dann von den Werten her recht ausgeglichene Charaktere, die gleichzeitig noch ihre eigene Hintergrundgeschichte mitbringen. Genial einfach. Einfach genial. Dieser Band bietet jetzt alles mögliche an Optionen, für den Fall, dass sich in dem gemeinsam erschaffenen Dorf eine herrschaftliche Festung befinden sollte.
An neuen Charakteren gibt es (leider wie so oft in der klassischen Fantasy) diese vor allem männlichen Charaktertypen: der Lehrling des Hofmagiers, der vergessene Sprössling, der zukünftige Kriegsherr, der begabte Dilettant, der ritterlose Knappe, die ungestüme Adelstochter, der Novize der Templer.
Fazit
Schick und sein Geld absolut wert. Die Abenteuer gefallen mir gut, mit der Einschränkung, dass ich persönlich gerne einzelne Elemente präziser beschrieben hätte. Die Charakterbücher sind wie immer erste Sahne und machen mir sofort Lust darauf, eine kleine Kampagne in Adelskreisen zu starten.
Was lange währt, wird endlich etwas über mittelmäßig. 😉 Die Erzählung um den Foodblogger der Herzen geht weiter – und die gute Nachricht ist – ER LEBT NOCH. Wenn ihr wissen wollt, was es mit dieser Lovecraftesque-Geschichte auf sich hat, schaut auf der Übersichtsseite beim Sandfuchs vorbei. Sollte die Geschichte nicht hier enden, wird es weitergehen bei Michael.
Eine Ton-Aufnahme auf dem arg geschundenen Smartphone von Raphael Duchamps:
„Mannmannmann, was
ist denn hier los? Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist,
dass ich auf ein undergroundiges Food-Festival wollte und mit dem Rad
den Berg hochgekracht bin. Dann bin ich, glaube ich, gestürzt.
Aber von so einem
Fahrradsturz – gerade bergauf – kann man doch nicht so
mitgenommen sein? Da liege ich jetzt in irgendeinem Krankenhaus und
die Ärztinnen sagen mir fast überhaupt nicht, was los ist. Ich bin
fast komplett zubandagiert, wenigstens der Zeigefinger der rechten
Hand ist frei, sodass ich mein Fon benutzen kann, wenn die Schmerzen
sich mal etwas zurückziehen. Alter, das Ding ist mal wirklich
hinüber. Muss wohl irgendwie voll drauf gelandet sein. Auf das
Display hab ich mir die größte Spiderman-App runtergeladen, die man
sich nur vorstellen kann. Und eine Ecke sieht aus, als habe jemand
oder etwas sie rausgebissen. Verrückt!
Was ich bisher von
den Ärztinnen erfahren konnte, ist, dass ich irgendwo in den Bergen
gefunden wurde, viele innere und äußere Verletzungen aufweise, ja
mir sogar einzelne Finger zu fehlen scheinen und ich beim Auffinden
völlig verwirrt gewesen sein soll und immer laut nach Essen verlangt
haben soll. Komisch. Das hört sich gar nicht nach mir an. Das kann
doch wirklich nicht von dem Fahrrad-Sturz kommen.
Boah! Manchmal können sich die Schmerzen durch die angenehme Wattigkeit der Schmerzmittel bohren – direkt in mein Hirn! Wisst ihr was, liebe Follower? Irgendwie bin ich hungrig. So hungrig war ich noch nie. Ja, klar! Krankenhausessen ist Müll und wird niemals auf meinem Blog landen, aber ich habe echt HUNGER! Also nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Da ist irgendwie ein riesiges Loch in mir, das gefüllt werden muss! Entweder fehlt ein Teil von mir, oder es ist etwas geöffnet worden, was nach Material verlangt. Hört sich komisch an, oder? Ja, ich weiß. So philosophisch kennt ihr mich gar nicht. Mann, ich freue mich so darauf, den Blog wieder zu befeuern und coole Pics auf Insta für euch rauszuhauen. Aber vorher muss ich noch irgendwas machen. Keine Ahnung was. Irgendwas will getan werden… Was? Da sind Stimmen. Sie flüstern.
AAAAA! Diese
Schmerzen! Mein Kopf platzt! Und ich habe Hunger! Ich werde mal nach
der Schwester klingeln…
Eine der letzten Dateien auf Raphaels Smartphone, eine Sound-Datei.
Immer wieder grässliches, hasserfülltes Krächzen. Dazwischen schwer auszumachende Geräusche und zwischendurch die angsterfüllte Stimme des Handy-Besitzers:
Neeeeeeeeeein! Das
kann alles nicht wahr sein! Das muss ein Alptraum sein. Ein solches
Wesen kann es gar nicht geben – die roten Augen, diese Zähne, der
feurige Atem… Ich muss hier weg! Weg! Oder ES töten, mich töten,
egal! Töten!
Ein wildes Kreischen von etwas Gigantischem hallt von den Höhlenwänden wider.
Was habe ich in der Tasche? Taschenmesser? Verloren! Die kleine Axt? Weg! Ich brauch irgendwas! Völlig egal was! Werfen! Treffen! Töten!
Das Kreischen scheint verwertbare Laute zu formen: „Auserwählter! Gib dich hin!“
ES will mich? Mich! Bin ich wirklich auserwählt? Kann ich mich retten? Kann ich ES retten? Kann ich die Welt retten?
Auserwählter! Tu es!
Ich will es tun! Was verlangt ES? Nur mein Leben? Kein Problem! Ich reiße mir das Herz heraus für ES! Mmmmmmhhhh! Herz! Innereien! Ich habe Hunger! Ich will bloggen! Ich will meine Follower nicht enttäuschen…
Eine
eingesprochene Ton-Datei auf dem Smartphone von Raphael
Duchamps
– Vorbereitung eines Blog-Artikels?
Mann, Mann, Mann! Der Fahrradsturz war dämlicher als unbedingt nötig. Ich hab mir die Rübe mieser angestoßen als ich dachte. Wenn ich mir in die Haare fasse, habe ich ordentlich Blut an der Hand, vielleicht hätte ich doch ein Verbandpäckchen mitnehmen sollen – aber die große Maglite mit ner amtlichen Ration Batterien war auch keine schlechte Idee, wie ich immer mehr feststellen muss. Mir brummt echt der Schädel und ich bin mir oft nicht ganz sicher, ob ich etwas wirklich sehe oder spüre, oder ob ich es mir vorstelle. Aber egal! Ich bin sicher, dass Underground Food Festival wird mich für alles entschädigen. Okay, soooo „undergroundig“ hatte ich es mir gar nicht vorgestellt, aber dafür gibt es sicher interessanten Kram zu essen, den ihr alle so noch nicht schmecken konntet. Ganz ehrlich? Ich bin schon etwas aufgeregt. Kurz hatte ich ja daran gezweifelt, dass ich am richtigen Ort bin, aber nachdem ich oben in der Höhle das kleine Lagerfeuer gefunden habe, wo sich jemand augenscheinlich etwas Leckeres mit Knochenmark zubereitet hat, bin ich mir sicher, dass ich hier völlig neue kulinarische Genüsse erleben werde. Vor meinem geistigen Auge schweben schon abgefahrene unterirdische Pilze angebraten im Fett eines kleinen, mir unbekannten, subterranen Säugetiers, aus dessen Schenkeln kleine Häppchen gereicht werden. Mit der Karkasse und diesem interessant leuchtenden Moos da hinten in der Ecke kann man sicher ein tolles Süppchen zaubern. Ach, die Eingeborenen hier werden schon wissen, wie man Flora und Fauna schmackhaft zubereitet. Ich muss einfach nur tiefer gehen, den Geräuschen hinterher.
Eigentlich denke ich, dass es sich um Stimmen handelt, bin mir aber nicht ganz sicher. Diese Ösis haben ja eine so abgefahrene Satzmelodie, dass ich manchmal glatt denke, dass da irgendetwas Krächzendes oder Schnaufendes drin vorkommt. Denen müsste echt mal jemand ordentlich Deutsch beibringen. Worüber sie sich wohl unterhalten mögen? Die neuesten Pilz-Rezepte? Die Ergebnisse der Ersten Liga? Warum heißt die eigentlich nicht Red Bull Liga? Heißt doch hier alles so. Und ich hätte jetzt gerne ein Red Bull, obwohl ich die Plörre eigentlich gar nicht mag. Aber Flügel wären jetzt schon okay. Irgendwann muss ich doch mal ans Ziel kommen. Mmmmmhhhh! Red Bull! Mann, immer diese Retortenteams im Fußball. Das gäb es beim FC 08 nicht. Mann, mein Vater erzählt jetzt noch von diesem 4:2 gegen den VfB Stuttgart. Quatsch! Der ist ja schon lange tot! Alter! Reiß dich mal zusammen! Konzentrier dich. Hoffentlich haben die bei dem Festival sowas wie ein Erste Hilfe-Zelt. Ich glaube es sollte echt mal jemand nach meinem Kopf sehen.
…
und
jetzt wird auch noch der erste Satz Batterien schwächer. Ich glaube
ich wechsel die mal.
Hey!
Was war das dahinten? Rot leuchtende Augen? Kopf, hör auf zu
spinnen! Es war ganz dunkel, da leuchtet nix.
So!
Batterien sind wieder drin! Funzel leuchtet wieder richtig hell. Und
natürlich ist da vorne weit und breit nichts zu sehen. Raphael, reiß
dich zusammen und konzentrier dich ganz auf deine Geschmackspapillen.
Die kriegen gleich ordentlich was vorgesetzt. Kann nicht mehr lange
dauern. Die Stimmen werden immer lauter. Ja, wie vermutet, ein
irgendwie komischer, etwas schnarrender Singsang, aber es sind ganz
eindeutig Stimmen. Da hab ich wohl direkt den richtigen Tunnel
erwischt. Oder die sind hier touristisch so auf Zack, dass alle Wege
zum Festival führen.
Wenn
ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, dass die
Wände hier bearbeitet sind. Bisher war alles reine Natur, weshalb
sollte hier etwas bearbeitet werden. So fleißig sind diese
Alpenbauern dann ja doch nicht. Naja, soll mir egal sein. Hauptsache
sie können ordentlich kochen.
Also
jetzt bin ich mir sicher. Die Wände wurden geglättet. Auf den
letzten Metern war das immer deutlicher zu erkennen, ich meine sogar,
dass da Sachen eingeritzt wurden. Die lassen sich hier echt nicht
lumpen von dem Festival – das hätte mehr Werbung verdient.
Vielleicht ritzen sie Rezepte oder so in den Fels. Ich bleib mal kurz
stehen und leuchte eine Stelle genauer an.
Alter!
Das ist ja mal was. Sieht aus wie die Höhle von Lascaux auf Speed.
Das war übrigens total cool da. Ich habe mal einen Food Truck auf
Europa-Tournee begleitet und der war zwei Tage lang in Montignac,
einem uralten Städtchen an der Vézère im Département Dordogne.
Das ist nur einen Steinwurf von dieser steinzeitlichen Höhle
entfernt. Puh. Mein Kopf. Sorry. Also diese in den Fels geritzten
Zeichnungen hier sind echt mal krass. Da sind ne Art Höhlenmenschen
drauf zu sehen und irgendwelche Viecher, die ich ganz sicher nicht
auf meinem Teller haben möchte. … obwohl! Mit ner ordentlichen
Hollandaise drauf kriegt man ja fast alles runter.
Mir
tanzt alles vor den Augen. Ist das mein Kopf oder sind das diese
völlig wahnwitzigen Zeichnungen. Da stimmt ja geometrisch nix drauf.
Und sind das Tentakel? Saugnäpfe? Zähne. Augen? Mann, schnell zum
Festival. Das geht mit dem Schwindel so nicht weiter.
Also
die Taschenlampe nach vorne gerichtet und immer weiter. Langsam wird
der Gang auch weiter. Bisher musste man teilweise gebückt gehen, um
nicht anzustoßen, aber jetzt scheint sich das Ganze in eine Höhle
zu weiten…