Verwöhnte Kinder?

Beim Wühlen durch die amerikanischen Rollenspielforen bin ich mal wieder über ein „bon mot“, besser gesagt ein „mauvais mot“ von Tim Kask gestolpert, welcher mich erneut auf die Seifenkiste zwingt:
„The higher numbered editions [von D&D – der Blogger] have turned the players into whiny little spoiled children who think that the world owes them the courtesy of cutting the meat on their dinner plate for them. „What? Feed myself“? „Oh, how cruel you are to us…“

Ein toller Schlachtruf von Kask.

Vielleicht sollte ich zu seiner Person noch kurz erklären, dass er einer der ersten und engsten Mitarbeiter von Gary Gygax war und gerade im Bereich der 5 Supplements für die ursprüngliche D&D-Box durch seine Editoren-Tätigkeit absolut prägend war. Er bezeichnet sich immer wieder gerne als „ersten festangestellten Mitarbeiter von TSR“ und war ganz sicher eine wichtige Person hinter den Kulissen von der Mitte der 70er Jahre an bis hin zum Anfang der 80er.
Wie Mentzer war er ein ganz wichtiger und persönlicher Mitarbeiter von Gary Gygax und hat dessen Einflüsse mit der Muttermilch aufgesaugt. Heute verdient er seine Brötchen als Lehrer und hat sich nach einiger Abstinenz auf Drängen der Jungs bei Dragonsfoot hobbymäßig wieder mit dem Thema „Rollenspiel“ befasst und hat wohl sogar geplant wieder Rollenspielartikel schreiben zu wollen – ich freue mich darauf! Wenn ich schon ein verkalkter alter Sack bin, der rollenspieltechnisch im jahr 1985 hängen geblieben ist, dann weiß Timothy Kask das um noch einmal etwa 5 bis 7 jahre zu überbieten. Der Kerl ist soooooo old-school (dass es schon mirfast weh tut!)

Zurück zu seiner These! Auf vielen Ebenen des Spieles ist D&D ganz bestimmt „einfacher“ geworden. Spontan fallen mir 2 Dinge ein, die im Laufe der Zeit immer – sagen wir einfach „spielerfreundlicher“ – wurden. Es gibt sicher noch etliche mehr, aber über diese beiden habe ich gestern abend vor dem Einschlafen noch nachgedacht.

1. Stufenaufstiege: Das D&D Ausbau-Set aus dem Jahr 1984 rechnet mit etwa 3-8 Spieleabenden bis ein Charakter der Namensstufe (ab Stufe 9) eine weitere Stufe erreicht.

Das Spielleiterhandbuch der 4. Edition rechnet mit 2 Sitzungen (wenn man von 9 nötigen „Encounters“ für eine zusätzliche Stufe ausgeht und jede Session mit 4 Encounters gespielt wird) zum Stufenaufstieg, gibt allerdings auch Tipps, dass und wie man die Charaktere am Ende jeder Sitzung aufsteigen lassen kann.

Wozu diese Hast? In meinem Spiel ist es noch ein Grund zu gewaltiger Freude, wenn man einen Charakter eine Stufe aufsteigen lassen kann – geht diese nichtflöten, wenn das automatisch am Ende jedes Abends geschieht?
Ich kann mich noch an meine Teenie-Jahre im Judo-Verein erinnern. In unserem Verein hatten wir etwa alle 1,5 bis 2 Jahre eine Gürtelprüfung, wodurch das zu einem Riesenfest für alle Anwesenden wurde. Was hat man sich über den neuen Gürtel gefreut und ist direkt in der nächsten Woche mit den Eltern in ein Sportgeschäft gefahren und hat stolz den neuen Gürtel gekauft.
Heutzutage finden in den mir bekannten Vereinen jedes halbe Jahr Prüfungen statt, sodass mir Schüler ganz gelangweilt von ihrer anstehenden Prüfung erzählen…

2. Tod: In den Mentzer-D&D-Regeln von 1983 hat ein Kämpfer zwischen 1 und 8 Trefferpunkte, wenn er 0 erreicht, ist er tot. Punkt. Aus. (Fertig ab, Tirolerkapp!)

In den Regeln der 4. Edition hat er maximal 33 (15 + Konstitutionswert), kann im Kampf einen „second wind“ auf sich wirken um die Trefferpunkte wieder auf’s Maximum zu bringen. Bei 0 Trefferpunkten hat man am Ende jeder Runde einen Rettungswurf, bei 3 Würfen unter 10 stirbt man.Ansonsten kann man seinen „bloodied“ Wert (die Hälfte der Trefferpunkte) im negativen Bereich vertragen, bevor man von der Bewußtlosigkeit ins Nirvana gleitet. Gar nicht so einfach zu sterben.

Klar! Man will hier der Frustration vorbeugen immer wieder neue Charaktere erstellen zu müssen, aber wird es in diesem Fall nicht zu leicht gemacht?

13 Gedanken zu „Verwöhnte Kinder?“

  1. Ja ja, damals, als wir noch nichts hatten, noch nicht mal angespitzte Bleistifte und wir uns die Würfel noch aus Hartholz selbst zurechtgenagt haben.
    Als Rollenspiel noch was für echte Männer war, und wir uns jeden XP mit Blut, Schweiß und Tränen erkämpft haben.

    Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Editionen. Man bekommt in D&D4 mehr Stufenanstiege in weniger Zeit. Und das ist gut so. Denn wo ich in den 80ern noch Zeit hatte, mich tagelang mit meinen Mitspielern zu treffen und ganze Wochenenden zu verspielen, muss heute ein 4stündiger Spielabend für zwei Wochen ausreichen. Bei drei Encoutern pro Abend macht das ein Level in sechs Wochen. Und das auch nur, wenn man alle Encounter erfolgreich abschließt, und nicht mit einem TPK, wie in dieser Woche.
    Womit wir bei den Trefferpunkten wären. Maximal wären 40 für einen Erststufler drin (wenn ich nicht noch einen Trick vergessen habe), dazu kommen noch Second Wind und diverse Heilkräfte. Das ändert aber nichts daran, dass die Gegner den SCs in einem „balancierten“ Encounter ebenbürtig sind. Sie haben ähnlich viele HP, genau so gute Trefferwürfe und einige nützliche und abwechslungsreiche Sonderfähigkeiten. Ab der ersten Stufe muss man in D&D4 taktisch geschickt und mit ein bisschen Glück agieren, um ein Chance auf den Sieg zu haben. Ist D&D1 mit seinem „Verdammt, der Goblin hat mich getroffen, neuer Charakter bitte.“ wirklich anspruchsvoller?

  2. Moritz,
    auch dieser Blogeintrag rockt gewaltig (ich bin froh, dass wir die Deutschen Rollenspielblogs haben)!

    Ich teile Tim Kasks und deine Einschaetzung, dass Stufenanstiege ein Fest sein sollten. Wann feiert man Feste? Wenn etwas Bedeutsames geschieht. Bedeutsam im Sinne von „feiernswuerdig“, ist etwas nur dann, wenn es nicht zur Gewohnheit wird.

    In unseren DSA1-Tagen war jeder Anstieg ein Grund zur Freude, umso mehr, weil wir schon damals die Regeln etwas verschaerft hatten (bei einer 6 beim Schadenswurf durfte man nochmal wuerfeln und dazu addieren).

    Das Argument von Roland (dass ein schneller Stufenanstieg zu bevorzugen sei, weil man nicht mehr so viel Zeit habe wie damals, als Jugendlicher) teile ich nicht. Wenn ich eine hochstufige Kampagne spielen moechte, dann lasse ich die Charaktere eben hoeher einsteigen.

    Rock on, Moritz!

  3. Norbert,
    klar kannst Du mit mächtigeren Charakteren anfangen (dafür gibts in D&D4 ja die Tiers) aber das ist nicht mein Argument.
    Ich sage, dass ich mit den schnelleren Aufstiegen jetzt ungefähr so oft dein Freudenfest zum Stufenanstieg feiern kann, wie früher, als ich noch mehr Zeit hatte.

  4. Gerade die "alten Säcke" kommen mir oft wie verwöhnte Wohlstandskinder vor.

    Da wird schonmal gejammert, dass ihnen auf Cons kein Federbett bereitet wird oder dass sie eine Viertelstunde auf ihr Essen warten müssen.
    Ein anderes Mal darüber dass die Regeln bei 4e es ja vollkommen unmöglich machen würden, spontan zu improvisieren (was jeder der sich mal 5min mit denselben Regeln beschäftigt hat widerlegen kann).
    Dann wieder darüber das die Forge ja so viele neue Regelmechanismen ausspuckt, statt auf D&D-Derivanten aufzubauen, was die [s]Tattergreise[/s]ehrwührdigen Mäschda des Rollenspiels zwingt neue Sachen zu lernen und nicht auf die auswendig gelernten zurück zu greifen…
    usw.usf.

    Ja,ja, früher war alles besser!

  5. So schlimm sind die alten Säcke nun auch wieder nicht, im Alter treten halt gelegentlich Rückenprobleme auf, da will man bequemer schlafen.
    Nächte durchmachen ist auch nicht mehr so einfach. 🙁

    @ Norbert
    Mehr XP? Kask & Co kritisieren doch gerade, dass den jungen Spielern Level/XP hinterhergeworfen werden. Ich bin, wie gesagt, absolut dafür.

  6. "Kask & Co"? 🙂
    Bin ich das „Co“? Wenn es in eurer Spielrunde besser ist mehr Erfahrung zu verteilen – etwa, weil ihr nichtso oft spielt – dann ist das doch absolut in Ordnung! Wir spielen wöchentlich und ein Stufenanstieg alle 2 bis 4 Wochen dürfte bei uns auch der Durchschnitt sein. Ich habe ja in dieser Hinsicht lediglich die beiden Pole Mentzer-D&D und D&D 4E verglichen und festgestellt, dass mir der Stufenanstieg jede Sitzung doch etwas zu hurtig wäre, da man gar nicht mehr so sehr das Gefühl hat „etwas geleistet zu haben“.

  7. Wem D&D4 zu untödlich ist, der hat sich nicht richtig damit beschäftigt. Ich habe in der letzten Runde meine Gruppe zweimal an den Rand des TPK gebracht und nur auf dem blutigen Zahnfleisch sind sie herausgekrochen.

    Das Schöne dabei: Die SCs, die am Boden lagen waren nicht tot, sondern lagen eben erst noch im Sterben. Denn so konnten die dazu gehörigen Spieler weiter mitfiebern. Für sie war das Spiel eben noch nicht vorbei, sondern alles stand noch offen.

    In diesem Sinne kann ich Stefan im Grunde vollzustimmen. Warum dem Geseier eines zahnlosen Greises Beachtung schenken? Nur weil er der Schönschreiber vom Mann ist, der Rollenspiel nicht erfunden hat?

  8. Moritz
    Nur, wenn Du Dich selbst unter das Co einordnen möchtest. 😉
    Ich meine vor allem die "Früher war alles besser!" Schwafler in den Old School Foren. Leider ist dieses Phänomen inzwischen von den Stammtischen in die RSP Szene übergeschwappt. Das Alter halt.
    ich war damals dabei, früher war manches besser, einiges schlechter und das meiste sah einfach ein bisschen anders aus. Kein Grund in Wehklagen und Altersromantik zu verfallen.

    Was ich mir aber wünschen würde, wäre dass die Old Schooler zumindest durch Fakten begründbare Kritik äußern würden, statt auf Hörensagen begründeten Unmut kundzutun.

    Wie gesagt, D&D4 halte ich nicht für weniger anspruchsvoll als D&D1, eher im Gegenteil. Früher half nur Vertrauen auf sein Glück, heute erntet man das, was man sät.

  9. @Gary’s Schönschreiber: Absolut! Ich habe mit Kask auch so meine Probleme! Also „quasi zwischenmenschlich“! Er schafft es noch eingefahrenere Standpunkte zu haben als ich – UND er schafft es, diese verbal absolut kompromisslos unter’s Volk zu hauen, was menschlich schon wirklich tief blicken lässt!

    Aber interessant sind seine Positionen immer, wenn man mal den unfreundlichen und unnachgiebigen Ton weggekratzt hat! Seine Erinnerungen an die ersten TSR-Jahre sind zum Beispiel absolut lesenswert!

    @ich und 4E: Wie gesagt ich finde das Design interessant und habe beschlossen alle englischen Erscheinungen zu sammeln, habe mich auch tapfer durch das Spielerhandbuch gekämpft und werde dem System ganz sicher demnächst mal eine Chance geben.

  10. Also der Healing Surge heilt nicht alles, sondern nur 1/4 der HP… so mal als Kommentar von einem D&D4-Anfänger, aber keinem Rollenspieljungspund. Es ist ein seltsames Spielgefühl wenn die HP-Statistiken aussehen wie ein EKG…

    Ich denke, die Stufen sind nicht mehr die Feste die man feiern sollte. Sie sind Stufen die zu einer jewils neuen Treppe führen. Man sollte sich daher eher über die Tiers freuen – wenn man endlich Paragon wird, ist das doch im Grunde wie ein Stufenaufstieg. Und Epic erst. DAS sollte gefeiert werden.

    So könnte es natürlich sein, dass sich die Charaktere schneller "verbrauchen". Im Endeffekt spielt man sie aber genau so viel und intensiv wie früher, so zumindest mein subjektives Gefühl, dass von einigen D&D3 und wenigen D&D4 Runden herrührt. Vielleicht spielt man sie sogar intensiver als früher wo man erstmal nicht wusste, ob der Held nun weiterleben darf oder leider schon stirbt – dann steckt man sicherlich nicht so viel Mühe in ihn, da fehlt Identifikation und auch Immersion, zumindest am Start. In D&D4 beschäftigt man sich mit dem Charakter wohl etwas mehr, weil man weiß: so schnell ist der nicht weg, von dem könnte ich ja noch was haben.

    Das ist in meinen Augen auch wunderbar daran festzumachen, dass früher öfters mal "Brüder" der Charaktere auftauchten, nachdem jener gestorben war und seinen Platz wieder einnahmen. Weil der Spieler den Charakter weiterspielen wollte. Weil er einfach nicht wollte, dass sein Konzept einfach so weggewischt wird. Denn mal ehrlich: auch und grade früher hat der SL unpassende Charaktere nicht mit viel Schaden aus der Runde entfernt sondern sich auf seine "Autorität" berufen und sie schlicht nicht zugelassen.

  11. Sorry für den „mal ehrlich“ Teil, das ist ganz fiese und blöde Rhetorik, ich beschreibe da wirklich nichts, was jeder nachvollziehen muss. Es ist mehr ein persönliches Gefühl und persönliche Erfahrung, die kann und wird in anderen Runden anders gewesen sein… Sorry (wenn du magst, kannst du diesen Beitrag mit dem voherigen zusammenführen).

    Viele Grüße vom Jens

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