[Rezension] Ein Abend mit dem Grauen (Cthulhu – Pegasus)

Im Vorfeld der SPIEL in Essen rezensiere ich noch ein paar Sachen, die euch gefallen könnten. Heute ist wieder einmal Grusel-Zeit. Ein Abend mit dem Grauen ist ein etwas irreführender Titel, denn wir haben es mit satten 5 Abenden mit dem Grauen zu tun. Wir haben es hier nämlich mit gleich fünf Abenteuern zu tun, die jeweils an einem Abend zu spielen sein sollen. Schauen wir sie uns doch mal genauer an.

Disclaimer: Ich habe ein kostenloses Rezensionsexemplar von Pegasus erhalten.

  • Produkt: Ein Abend mit dem Grauen
  • Autor*innen: Paul Fricker, Mike Mason, Heiner Jöhrs, Kolja Neubacher, Alexander Schiffke, Martin Ziska
  • Illustrationen: Melanie Hamann, Andreas Schroth, Kaori Suzuki
  • Verlag: Pegasus (Im Original von Chaosium)
  • Aufmachung: Hardcover, vollfarbig, 186 Seiten
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Preis: 29,95 Euro
  • ISBN: 978-3-96928-098-0

Gestaltung

Das Cover – (Co) Pegasus

Ich mag ja das Aussehen der deutschsprachigen Cthulhu-Sachen immer sehr. Die Hintergründe, Zierleisten und das Layout an sich sind immer makellos und übersichtlich. Das ist auch hier der Fall, allerdings muss ich minimal an den Illus herummäkeln (allerdings nur aufgrund persönlichen Geschmacks). So liebe ich bei vielen älteren Werken die Fotos von Charakteren und Ortschaften.

Die Rückseite mit Kurzbeschreibung der Abenteuer – (Co) Pegasus

In diesem Band sind viele der Orte auch wirklich in alten Schwarzweißfotos dargestellt, die NSC allerdings sind gezeichnet. Nicht schlecht, nicht unpassend, aber ich mag einfach die alten Fotos so gerne – ich hoffe, wir sehen demnächst wieder mehr Cthulhu-Redakteure auf Flohmärkten, die alte Fotosammlungen aufkaufen. Gerade beim letzten Abenteuer, das in der Jetztzeit spielt, haben wir sogar NSC-Zeichnungen in bunt und fast schon comicähnlichen Stil. Tststs. 😉

Das ist aber auch schon der einzige kleine Meckerer, denn das Buch sieht klasse aus und ist klasse geschrieben und lektoriert. Sehen wir ihn uns doch mal genauer an.

Inhalt

Der Sammelband enthält 5 kleine ortsbasierte Abenteuer, die an jeweils etwa 1-3 Abenden durchgespielt werden können. (Kleine Randbemerkung: Ich habe neulich den Begriff „German One Shot“ gelernt – für Abenteuer, die eigentlich in einer Sitzung gespielt werden sollen, aber dann doch etwas ausufern und 2-4 Treffen benötigen. Gefällt mir sehr gut.)

Beginnen wir mit Die Träumer von Kaliyama. Wie der Titel grob vermuten lässt, spielt dieses Abenteuer in Japan. Genauer gesagt im Dörfchen Kaliyama im Ryohaku-Gbebirge, am Fuße des Berges Dainichigatake in einem Frühling in den 1890er Jahren. Wir befinden uns also in der Gaslight-Ära des Cthulhu-Rollenspiels.

Interessant an diesem Abenteuer ist die Tatsache, dass es mit vorgefertigten Investigator*innen gespielt wird, die alle ihre Päckchen zu tragen haben und irgendwie mit der Handlung verwoben sind, sodass sie sich ihren eigenen Schrecken stellen und ihre eigenen, ganz persönlichen Entscheidungen treffen müssen. So etwas funktioniert ja spätestens seit dem Sänger von Dhol ganz ausgezeichnet – glücklicherweise ist hier die Verbindung zur Handlung nicht gaaaaaanz so extrem. You know what I mean.

Von der Struktur ist dieses Abenteuer wirklich gut zu leiten, da größtenteils einfach Dinge passieren – das Hauptaugenmerk liegt hier nicht auf Exploration oder freier Entwicklung der Geschichte, sondern darauf, die Charaktere vor schwierige Situationen zu stellen, in denen sie wirklich gewichtige Entscheidungen treffen müssen. Nicht mein persönlicher Stil, aber gut gemacht. Ein sehr starker Einstieg in die Anthologie.

Abenteuer 2 heißt schlicht und einfach Mutter. Alte Menschen wie ich erleiden schlimme Heintje-Flashbacks. Hoffentlich wird diese Angst nicht vom Inhalt weiter genährt. Nein. Nix mit schnulzigen Liedchen – aber die Wahrheit ist noch schlimmer. Wir befinden uns im ländlichen Colorado des Jahres 1929 und alle Investigator*innen sind Mitglieder der Sekte „Mutter“. Und puh. Direkt mal ein schweres Thema für mich als sensiblen Religionslehrer.

Sei es wie es sei. Das Ziel der Sekte ist es, ihren Gott zu erwecken und die Menschheit zu erretten. Natürlich ist das hinter den Kulissen düsterer als es sich nach außen hin anhört und eben jenes sollte den Charakteren nach und nach aufgehen. Das ist schon eine schwierige Prämisse, denn es erfordert von der Gruppe einiges an Konzentration, denn natürlich ist es den Spieler*innen völlig klar, dass sie bei einem Cthulhu-Spiel nicht in einer Gemeinschaft leben, die Gänseblümchen pflückt, während die Charaktere davon ausgehen müssen, dass sie sich auf der Seite des Guten befinden. Auch die gesamte Thematik von geistigem Missbrauch in Sekten ist echt mal etwas, was wirklich schwer zu spielen und nachher aufzuarbeiten ist, sodass ich dieses Abenteuer zwar großartig finde, es aber nicht unbedingt selber leiten wollen würde und es euch auch wirklich nur empfehlen kann, wenn ihr wirklich Lust auf ein solches Spiel habt. Und fairerweise muss ich zugeben, dass das Abenteuer direkt zu Beginn auf diese problematischen Inhalte hinweist. Sehr, sehr gut. Diese Verantwortung gegenüber euren Spieler*innen habt ihr nämlich tatsächlich, liebe Verlage.

Auch strukturell ist das Abenteuer nicht einfach zu lösen, entspinnt sich die Handlung doch recht frei und es wird viel Augenmerk auf den Alltag der Gemeinschaft gelegt, was nicht einfach zu leiten ist, aber bei Gelingen eine sehr befriedigende Erfahrung bietet. Dann irgendwann überschlagen sich die Ereignisse und die Handlung nimmt immer mehr an Tempo auf, bis schlussendlich die Gottheit beschworen wird – oder auch nicht. Es liegt ganz in eurer Hand.

Alles Gute, Opa Zeus! ist das dritte Abenteuer und die Prämisse macht doch direkt Spaß. Wir spielen Enkel*innen des schwerreichen Zeus Olympios und nehmen an einer Familienfeier auf seinem abgelegenen Anwesen teil. Plötzlich gibt es die ersten Toten.

Hört sich ebenso interessant wie klassisch an und so werden zahlreiche bekannte Krimi-Tropes verwurstet und mit cthulhoiden Elementen verwoben. Saugut. Macht schon beim Lesen Spaß. Da gibt es alles von einer mysteriösen Hintergrundgeschichte über eine ungewöhnliche Mordwaffe, ein Heckenlabyrinth,…

Und das Beste: Es gibt Handouts. Und sie sind schön kurz und übersichtlich. Meine permanente Hetze gegen 20seitige Cthulhu-Handouts in verschnörkelter Schrift, die eine einzige wichtige Information enthalten, scheint Wirkung zu zeigen. Ein tolles Abenteuer. Wäre bisher mein Favorit, wenn ich etwas aus diesem Band leiten wollen würde.

In Abenteuer Nummer 4 schlagen wir Graue Wurzeln. Ah! Endlich ein Abenteuer in Deutschland. Es geht ins Jahr 1927 nach Paderborn. Hier geschehen ungewöhnliche und beunruhigende Dinge. Auch hier sind die Charaktere auf ganz ungewöhnliche Weise mit dem Abenteuer verbunden (Wurzeln. Hust!) und haben ganz persönliche Gründe, sich ins Gefecht zu stürzen. Mehr will ich nicht verraten, denn falls ihr dieses Abenteuer je spielen würdet, wäre es fies, den großen Clou zu verraten. Aber hey, Wurzeln spielen eine Rolle.

Ein Mechanismus, auf den wir auch im nächsten Abenteuer treffen werden, spielt hier eine große Rolle. Es gibt geheime Informationen wie welcher Charaktere seine Umgebung und andere Menschen wahrnimmt. Durch Austausch von Informationen gilt es hier irgendwie ein halbwegs akkurates Bild der Wirklichkeit zu gewinnen. Gefällt mir total gut. Ebenso wie die präzise Ausarbeitung von Abenteuerort und allen Menschen, egal ob Charaktere oder NSC. Ein weiteres richtig starkes Abenteuer.

Zum Abschluss wird es noch einmal leichtfüßig und fröhlich, denn die Reise der Charaktere geht ins Camp Sunny. Aber ich verrate euch nicht zu viel, dass es weniger sonnig werden wird als es sich anhört, denn schon die Warnung zu Beginn teilt uns mit: „In diesem Abenteuer werden nicht einvernehmlich stattfindende sexuelle Handlungen zwischen Mythos-Kreaturen und Menschen thematisiert.“ Ooooookay, auch nicht genau mein Ding, aber was habt ihr von einem amerikanischen Sommercamp erwartet?

Und so kommt es wie es kommen muss. Die Charaktere kommen im Sommercamp an, können sich frei hier bewegen und mit den anderen Urlauber*innen sowie dem Gastgeber-Paar, Harold und Janice Fishburn, interagieren. Was soll ich sagen? Es wird fischig und shoggottig, etwas unheimlich, aber ich glaube ich würde das Ganze dennoch als heitere Sause spielen, die erst kurz vor Schluss ins Groteske abrutscht. Bei mir müsste die metaphorische Band so lange spielen wie es nur irgendwie geht und erst dann würde die Post abgehen.

Fazit

Eine echt starke Abenteuerzusammenstellung. Zeus und Wurzeln finde ich herausragend. Die anderen drei immer noch überdurchschnittlich gut. Neben dem hohen Niveau der Abenteuer gefällt mir auch sehr gut, dass wir in den unterschiedlichsten Zeiten und den unterschiedlichsten Orten spielen können und der Grusel jeweils auf einer anderen Ebene stattfindet, sodass jeder Geschmack bedient werden sollte.

Außergewöhnlich gut. Außergewöhnlich interessant. Außergewöhnlich.

Bewertung

4 von 5 leicht gruselige „German One Shots“