Freiheit

… herrje. Jetzt habe ich selber dieses dämliche Lied im Kopf – selber schuld, wenn ich lange nach einer kurzen aber prägnanten Überschrift suche.
Ich möchte nämlich auch im hohen Alter nochmal auf die Seifenkiste klettern und etwas darüber vom Stapel lassen, was für mich Freiheit im Rollenspiel ist und was nicht. (Wie immer ist das hier Geschriebene meine persönliche Seifenkistenmeinung und gilt – faszinierenderweise – nicht für jeden Spielleiter, jede Spielrunde, jedes System…) Wofür ich allerdings die Hand ins Feuer legen kann, ist, dass es für einen Spielstil – für meinen Spielstil – unumgänglich ist.
Ich beginne mal mit einer paradox klingenden These und versuche mich von dort aus voranzutasten:

„Um die maximale Freiheit genießen zu können, muss möglichst viel festgelegt sein.“
Tja, da macht ihr große Augen, was? „Freiheit“ besteht für mich – wenn ich spiele – nicht darin, dass ich genau weiß, dass der Spielleiter sich gerade alles spontan ausdenkt, mit dem Flow geht und voll cool improvisiert. Das kann wahnsinnig viel Spaß machen, aber a) geht es mir darum hier nicht und b) hat das für mich nix mit Freiheit zu tun.
Ich möchte wissen, dass der Hintergrund möglichst genau beschrieben ist und festgelegt ist, dass die Gangster, die ich beobachte, zum günstigsten Zeitpunkt – und zwar genau morgen – das Dörfchen angreifen und nicht dann, wenn der Spielleiter denkt, dass es ein besonders cooler Zeitpunkt ist, oder dass die Handlung auf meinen Spielercharakter wartet, nur weil ich als Spieler zu doof bin, zu erkennen, dass der Angriff morgen stattfindet. Ich verlange schlichtweg, dass das Dorf dann dem Erdboden gleich gemacht wird und mein Charakter vor die Konsequenzen seiner Tat gestellt wird und lernen muss, mit ihnen umzugehen.
Ich möchte nicht, dass die Handlung auf mich Rücksicht nimmt und an mich angepasst wird, ich möchte, dass alles so abläuft, wie es sinnvollerweise ablaufen würde. Damit der Spielleiter genau dies erkennen und ablesen kann, muss die Situation schon in der Planung (entweder vom Autoren oder vom Spielleiter, der das Abenteuer entwirft) möglichst präzise analysiert und beschrieben werden.

Ich habe das mal in einem älteren Blog-Artikel, den ich zu Dungeons geschrieben habe, postuliert. Bei unsauberer Betrachtung würde man denken, dass ein Dungeon der „unfreiste“ Ort im gesamten Rollenspieluniversum ist. Geht man aber davon aus, dass dieser Dungeon absolut präzise beschrieben ist. Woraus bestehen die Türen, was finde ich in Raum Y, wie verhalten sich die Monster in Raum Z in Verhältnis zu denen in Raum B…?
Ist all das geklärt, besitzen die Charaktere die maximale Freiheit. Sie können sich frei in der Umgebung bewegen und der Spielleiter wird auf (fast) alles eine Antwort parat haben.
„Konsequenzen“ sind hier für mich das Schlagwort. Oder von mir aus auch „Scheitern“. Die Charaktere (und mit ihnen natürlich ihre Spieler) müssen damit leben, dass ihnen nicht alles gelingt, dass es Rückschläge, Tote… gibt – wenn dies vorher durch die Logik der Hintergrundwelt festgelegt wurde.
Freiheit ist also nicht eine Landkarte, auf der ich nur die linke untere Ecke beschrieben habe. 
Freiheit ist also nicht, wenn der Angriff der Piraten genau dann erfolgt, wenn es den Charakteren gerade in den Kram passt. 
Freiheit ist also nicht, wenn der Böse auf einmal der Gute ist, weil es besser in die Geschichte passt. 
Freiheit ist also nicht, wenn auf einmal eine Spur zum Mörder auftaucht, weil die Charaktere alle anderen übersehen haben.
Freiheit ist also nicht, wenn plötzlich ein Drache auftaucht, der die Charaktere tötet.
Freiheit ist also nicht, wenn plötzlich ein umherziehender Magier auftaucht, der sie vor dem Drachen rettet.
Freiheit ist also nicht, dass ich auf einmal der Heerführer von 2000 Mann bin und das System gar keine Regeln für Massenschlachten kennt.

7 Gedanken zu „Freiheit“

  1. Hmmm, Nein, der Grundgedanke ist der Gleiche, aber ich bin nicht der Meinung, das alles festgelegt sein muß. Es muß alles festgelegt und logisch funktionieren, sobald es mit den Spielern in Berührung kommt. Aber vorher nicht.

  2. Nochmals "Bravo!" und eine Anmerkung:

    Es gibt viele Entscheidungen, die ich als Spielleiter gar nicht treffen *will*.

    Ich will z.B. nicht entscheiden, ob es in der nächsten Stadt einen Heiler gibt, der den Todesfluch auf dem Dieb noch aufhalten kann.

    Und falls das Vorhandensein eines Heilers nicht schon entschieden ist – *vorher* von mir oder der Stadtbeschreibung im Modul -, dann würfel ich das zumindest aus.

  3. Verstehe ich es also richtig, dass die ausführlichen aventurischen Regionalbände einen Beitrag zur Freiheit am Spieltisch darstellen?
    (Dies ist keine Fangfrage, nur bloße Neugier.)

  4. Im Prinzip schon – genau darüber habe ich während des Schreibens auch nachgedacht.

    Oft sind es allerdings die "falschen" Informationen, die gegeben werden.

    Aber im Idealfall sollte Aventurien die von den Spielern am freiesten zu bespielende Welt ever sein – ja.

    Fehlt nur noch das Mindset bei Autoren und Meistern.

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