Spielbalance über alles?

Es ist mal wieder an der Zeit für eine Seifenkisten-Predigt, die ganz sicher einiges an Widerspruch hervorrufen wird.

Ich habe nämlich in den letzten Editionen von D&D die Tendenz festgestellt, dass alles – selbst die einzelnen Charakterklassen und -rassen – im Gleichgewicht sein muss, damit sich nur ja kein Spieler benachteiligt fühlt.

Natürlich ist die Stufenbeschränkung für die übermächtigen Halblinge, Elfen und Zwerge in der ersten deutschen Edition nicht der Weisheit letzter Schluss, aber ist diese Gleichmacherei überhaupt nötig – ja, nimmt sie nicht sogar dem Rollenspiel seinen Reiz?

Ich habe in meinem bisherigen Leben als Spielleiter glücklicherweise noch nie Spieler kennen gelernt, die übermäßig darauf aus gewesen sind, ihren Charakter durch Punktefuchserei jenseits von Gut und Böse befördern zu wollen. Ich weiß auch nicht, ob ich sie lange ertragen könnte.

Die Charakterklassen und -rassen sind doch schon ihre eigene Gleichgewichtung. Ich spiele einen Kämpfer, denn ich will wenig denken müssen und ordentlich draufbratzen, ich spiele einen Magier, denn ich möchte im Laufe der Zeit meine Zauberfertigkeiten vervollkommnen und so von einem anfangs eher schwächlichen Charakter zu einem absolut nicht mehr wegzudenkenden Mitglied der Gruppe werden. Warum spiele ich einen Dieb? Weil ich dann einige Fertigkeiten besitze, die niemand anders in der Gruppe beherrscht…
Ihr merkt, worauf ich hinaus will.

Ich spiele doch einen Charakter, um mit einer Gruppe anderer Spieler gemeinsam Probleme zu meistern – Aufgaben zu lösen. Da kann es mir doch vollkommen gleichgültig sein, dass ich als Magier gerade zu Beginn weniger mächtig sein könnte als der Kämpfer – Hauptsache ist doch, dass wir uns ergänzen.

Widerspricht diese immer mehr eintretende Gleichschaltung der Klassen und Rassen also nicht der Idee im Rollenspiel in Interaktion mit meinen Mitspielern, dem Spielleiter und der Hintergrundwelt zu treten?

5 Gedanken zu „Spielbalance über alles?“

  1. Ich denke, Spielbalance hat einen guten Grund, wird aber leicht als „Charaktere sind in jeder Situation gleich stark“ *falsch verstanden*.

    Wenn die Spielbalance nicht passt, entstehen leicht Probleme, die die SL dann kompensieren muss.

    Spielbalance heißt für mich allerdings: „Charaktere stehlen sich nicht (ständig) gegenseitig die Show“

    z.B. spiele ich in unserer aktuellen Space Runde ( http://raumzeit.1w6.org ) eine verdammt mächtige Psionikerin, die ohne Probleme 3 Tonnen heben und Leute zerquetschen kann.

    Das wäre normalerweise ein typischer Kandidat für „und was mach ich hier?“ Frust bei anderen, aber sie hat einige Einschränkungen.

    Die für Kämpfe relevanten sind:

    – Sie kann ihren eigenen Körper nicht beeinflussen. Kein Schweben, keine Selbstheilung, und ja, sie geht zu Fuß, wenn kein Schiff da ist, und sie blickt oft genug neidisch auf unsere viel schwächere psi-aktive Technikerin, die sich fröhlich durch die Gegend levitiert.

    – Psi braucht Zeit. Das heißt: Ich kann pro Runde nur ein Ziel beeinflussen, bei komplexerem brauche ich auch mal länger. Unsere Fernkämpfer halten in der gleichen Zeit zweimal drauf, und unsere Nahkämpfer verteidigen sich gegen jeden, der angreift (wenn auch mit Mali).

    Allein dadurch hat sie in Kämpfen eine bestimmte Rolle und kann anderen nicht die Rolle stehlen – z.B. klettert sie die Leiter rauf, während die Technikerin bereits oben am schaffen ist.

    Und das waren nur Kämpfe.

    Dazu kommt, dass sie erpressbar ist (der Körper ihrer toten Geliebten liegt in einer Kryokapsel im Schiff), dass sie keine Rücksicht auf sich selbst nimmt und dadurch oft genug fast völlig handlungsunfähig wird.

    Dann steht sie voll und ganz hinter der Crew – was ihre Handlungsfreiheit weiter einschränkt.

    Aus den Erfahrungen würde ich sagen:

    Spielbalance heißt, jeder Charakter findet (unterstützt durch das Regelwerk und/oder die Welt) eine Rolle, die er ausfüllt (z.B. weil er am kompetentesten darin ist) und damit (einen fairen Anteil am) Rampenlicht erhält.

    Damit ist dann das Spiel im Gleichgewicht und die Spielbalance gewahrt.

    Ein Beispiel in dem die Welt das unterstützt ist Werwolf. Ich habe eine Gaillard gespielt, die in ihrem Leben nie erzählt hat (sondern mmer nur geschrieben). Aber da in einem Rudel der Gaillard aus Prinzip der Erzähler ist und bei Treffen die Geschichte des Rudels erzählt (oder singt), lernt sie es nun – und damit hat sie eine Rolle, die ihr einen Teil des Rampenlichts gibt (und Spaß macht zu spielen).

    Ein Beispiel, wie das auch gemacht werden könnte, sind wechselnde Anführer. Je nach Aufgabe, oder sogar je nach Spielabend könnte (InPlay) der Anführer wechseln – vielleicht sogar jede einzelne Rolle. Auf die Art erlebt jeder jede Rolle, und mit der Zeit können sich Rollen für jeden Charakter stabilisieren/entwickeln, wenn sie einfach zu dem Char und der Spielerin passen.

    Wenn das Regelwerk diese Rollenaufteilung unterstützt, bietet es eine gute Grundlage für Spielbalance. Da die verfügbaren Rollen aber von der Gruppe und der Kampagne abhängen, kann ein Regelwerk die Spielbalance vor allem für bestimmte Grundsituationen fördern – wenn DnD Charaktere sich entscheiden Diplomaten zu werden oder eine Gruppe Psioniker sich plötzlich entschließt, drei Jahre lang die Matrix zu erkunden, können Rollenzuteilungen durch das Regelwerk hinderlich werden.
    Und da ich die Möglichkeit zum Wechsel des Kampagnenthemas gut finde, sollte das Regelwerk für mich nicht zu stark auf eine Grundsituation optimieren, oder es Runden ermöglichen jeweils auf ihre Situation zu optimieren, und dafür vielleicht sogar Charaktere umzustellen, wenn die Grundsituationen sich ändern.

    PS: Habe das wegen seiner Länge auch mal in mein Blog gepostet: http://1w6.org/blog/drak/2008-09-15-spielbalance-welche-rolle-hat-der-char-der-gruppe

  2. was arnebab gesagt hat…

    Vor allen Dingen die Herausforderung an den SL die Wogen zu glätten wenn die Balance nicht stimmt, ist echt nicht zu unterschätzen.

    In Erinnerung an eine meiner D&D-Runden vor 15 Jahren, bei der der SL das nicht hinbekommen hat: "Hauptsache ist, dass wir uns ergänzen – Tatsache ist das wir uns ersetzen."

    Mir schmeckt die aktuelle Version von D&D4 auch zu sehr nach Einheitsbrei (und/oder konzentriert sich dafür zu sehr auf den Kampf), aber über das Bestreben nach Spielbalance bin ich eigentlich ganz glücklich.

  3. > Widerspricht diese […]
    > Gleichschaltung der Klassen und
    > Rassen also nicht der Idee im
    > Rollenspiel in Interaktion mit
    > meinen Mitspielern, dem Spielleiter und
    > der Hintergrundwelt zu treten?

    Warum sollte sie?

    Balance zwischen den Spielern erhöht wahrscheinlich sogar eher die Interaktion, denn Balance bedeutet nicht dass jeder alles kann (das wäre Omnipotenz), sondern nur das jeder gleichberechtigt am Spiel teilnehmen kann.

    Und was Balance zwischen den Spielern mit der Interaktion mit dem Spielleiter oder gar der Hintergrundwelt (ich nehme an, du meinst die Gemeinsame Vorstellung) zu tun hat, entzieht sich mir gänzlich.

  4. > Widerspricht diese […]
    > Gleichschaltung der Klassen und
    > Rassen also nicht der Idee im
    > Rollenspiel in Interaktion mit
    > meinen Mitspielern, dem Spielleiter und
    > der Hintergrundwelt zu treten?

    Ich stimme dir zu. Als langjaehriger Spielleiter einer Amber Diceless-Runde kann ich nur bestaetigen, dass mechanisches Gleichgewicht (davon sprichst du ja) ein missglueckter Versuch ist, allen Spielern gleich viel Macht ueber das Spiel zu ueberlassen.

    Nuechtern betrachtet: Selbst wenn jeder Spieler die gleiche Anzahl an "Charakter-Erschaffungspunkten" bekommt, wird der Spieler, der am beschreibungsfreudigsten, am wagemutigsten oder am leidenschaftlichsten ist, sein Ding im Spiel durchziehen. Das war bei uns nicht anders als beim allerersten Rollenspiel (Braunstein), in dem Dave Arnson seinen Charakter Dinge tun liess, auf die einfach keiner seiner Mitspieler gekommen ist.

    Was zeigt, dass mechanische Spielbalance voellig unerheblich ist, weil sie sich bei Kontakt mit Spielerkreativitaet in Luft aufloest.

  5. Norbert, Deine Aussage mag für vorwiegend freeformende und/oder gut eingespielte Runden zutreffen, aber in den meisten Runden kann eine in den Regeln verankerte Balance zumindest einen gemeinsamen Nenner sichern.
    Das ersetzt natürlich nicht den Willen zu gutem Zusammenspiel, aber hilft in meinen Runden (die z.T. mit regelmäßig wechselnden Spielern und Neulingen besetzt sind) Anhaltspunkte für alle Beteiligten zu geben.

    Außerdem nimmt ein System mir als SL oder Mitspieler Arbeit ab, wenn es sicherstellt, dass der schüchterne Nobby gegen Powerteller Piet im höfischen Intrigenspiel nicht untergeht, wenn ihre Charaktere ähnliche Werte haben. So muss ich weder Nobby trösten, noch Piet dauernd ausbremsen.

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    Moritz:
    Ich spiele doch einen Charakter, um mit einer Gruppe anderer Spieler gemeinsam Probleme zu meistern – Aufgaben zu lösen. Da kann es mir doch vollkommen gleichgültig sein, dass ich als Magier gerade zu Beginn weniger mächtig sein könnte als der Kämpfer – Hauptsache ist doch, dass wir uns ergänzen.
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    Es gibt durchaus andere Motive fürs Spiel. Den Kumpels am Spieltisch mal zeigen, was für ein cooler Typ man ist, klappt z.B. meist nur dann, wenn mein Charakter im Vergleich zu deren Spielvehikeln nicht die Lusche ist. Es sei denn, man hat andere Möglichkeiten Einfluss auszuüben.

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    Moritz:
    Widerspricht diese immer mehr eintretende Gleichschaltung der Klassen und Rassen also nicht der Idee im Rollenspiel in Interaktion mit meinen Mitspielern, dem Spielleiter und der Hintergrundwelt zu treten?
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    Ich kann Dir in dem Punkt nicht folgen. Meinst Du, ein bedeutender Teil des Spiels ist die Vermittlung aller Mitspieler/des SL zwischen unterschiedlich starken Charakteren und den Interessen ihrer Spieler?

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