[Kurzrezension] Vaesen Grundregelwerk (Uhrwerk Verlag)

Ich war ja so vogelwild am VAESEN Crowdfunding zu Britannien und Irland teilzunehmen ohne überhaupt das Regelwerk zu besitzen. Das habe ich mir jetzt vom Uhrwerk Verlag schicken lassen und einer genaueren Betrachtung unterzogen. Ich habe es aber noch nicht am Tisch (oder online) gespielt und kann nicht abschließend rezensieren, möchte aber meine ersten Eindrücke schildern.

Disclaimer: Ich habe ein kostenloses Rezensionsexemplar von Uhrwerk erhalten.

Das Cover – (Co) Uhrwerk Verlag
  • Produkt: Vaesen – Schauriges Rollenspiel im mythischen Norden
  • Autor: Nils Hintze
  • Illustrationen: Johan Egerkrans
  • Verlag: Uhrwerk (Im Original von Free League)
  • Aufmachung: Hardcover, vollfarbig, 232 Seiten
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Preis: 49,95 Euro
  • ISBN: 978-3-95867-242-0

Gestaltung

Wow! Was für ein tolles Teil. Schon der grobe, fast leinenartige Umschlag fühlt sich super an und ich blättere gerne darin. Dazu kommen großartige farbige Illustrationen in den unterschiedlichsten „Stadien“ von grober Skizze hin zu komplett ausgestalteter Zeichnung, die ich mir unbedingt an die Wand hängen möchte. Dazu kommt ein klares Layout mit zwei Spalten und etlichen schicken und gut abgetrennten Boxen mit Designanmerkungen (was ich ja immer sehr hilfreich finde).

Nennt mich „late to the party“, aber mir hat der Name Johan Egerkrans nichts gesagt. Ich bin aber auch nicht viel in Free League-Gewässern unterwegs. Naja, hier ist er ja eine Art „Stein des Anstoßes“ zu System und Spielwelt, aber dazu mehr im nächsten Abschnitt.

Inhalt

Dieses – wie schon festgestellt – wunderschöne Buch kommt aufgeräumt und in 10 (eigentlich 11) Kapiteln daher.

In Kapitel 1 erfahren wir, wie es zu diesem Spiel gekommen ist. Ja, das hängt mit dem schon erwähnten Herrn Ergerkrans zusammen, der ein Buch Nordische Wesen geschrieben und vor allem illustriert hat. Dieses Buch führte nur konsequent dazu, dass zu diesem „Monsterkompendium“ ein Rollenspiel geschrieben werden musste und so befinden wir uns nun in der skandinavischen Wildnis rund um das Upsala des 19. Jahrhunderts und müssen uns mit allerhand Vaesen (Trolle, Geister, LIndwürmer…) herumschlagen. Hört sich spannend an. Ich möchte weiterlesen.

Aber bevor ich weiter zu Kapitel 2 blättere, möchte ich noch erwähnen, dass hier 6 Prinzipien genannt werden, die helfen, das Spiel besser zu begreifen:

  • Vaesen sind weder gut noch böse.
  • Die Natur ist düster und gefährlich.
  • Skandinavien verändert sich.
  • Wissen und Gerissenheit sind die Schlüssel zum Erfolg.
  • Die Reise ist Teil des Ziels.
  • Allein wirst du nicht überleben.

Cool. Das hört sich nach einer angenehmen Schnittmenge aus Old-School und moderner Anschauung an.

Okay, nun aber in Kapitel 2 zur Charaktererschaffung! Hier gibt es eine kleine Liste von 12 Punkten, die ich nacheinander abarbeite, um meinem Charakter Leben einzuhauchen. Neben Archetyp, Alter, Namen, Attributen, Fertigkeiten, Ausrüstung und Talenten (alles schon unendlich oft gesehen), haben Vaesen-Charaktere direkt von Beginn an auch Motivation, Trauma, ein Dunkles Geheimnis, ein Memento und Verbindungen zu den restlichen Charakteren.

Motivationen, Trauma und Dunkle Geheimnisse finde ich beispielhaft bei den Archetypen. Aber das Memento darf ich auswürfeln: ich habe einen Flachmann mit Inschrift erwürfelt. Juhu. Mal sehen, was das im Laufe der Spielrunden für eine Rolle spielen wird.

Damit ihr etwas überblicken könnt, in welche Richtung das Spiel gehen wird, zähle ich euch mal die Archetypen auf (die übrigens die einzigen Illus aufweisen, die ich nicht großartig finde): Akademiker, Diener, Jäger, Mediziner, Offizier, Okkultist, Priester, Privatdetektiv, Schriftsteller, Vagabund.

(Und ihr merkt auch gleich, dass nicht entgendert wird – klar, das passt auch nicht zur Zeit an der Schwelle zur Industriellen Revolution, aber ich bin mittlerweile echt irritiert über generisches Maskulinum.)

Kapitel 3 erklärt dann die Fertigkeiten näher. Davon gibt es mit 12 überraschend wenige und sie sind je einem Attribut zugeordnet. Vielleicht ist dies der Ort, um den Hauptwürfelmechanismus zu erklären: W6 Poolsystem, 6er sind Erfolge. Ich würfle bei Ferigkeiten beispielsweise so viele Würfel wie das Attribut und die Fertigkeit gemeinsam angeben. 6er sind Erfolge. Oft reicht ein Erfolg, es können aber auch mehrere notwendig sein. Ich kann meinen Wurf auch strapazieren ( in anderen Systemen „forcieren“), wenn er misslingt. Dann erhalte ich einen „Zustand“, aber ich kann noch einmal versuchen etwas zu erreichen, was mir eigentlich misslungen wäre.

Talente werden nun in Kapitel 4 genauer erklärt und hier pflügt sich das Buch nun durch die Talente, die allen Archetypen offenstehen. Exemplarisch nenne ich mal (als alter Religionslehrer) den Priester, der Absolution, Beichte und Segnung beherrscht. Dadurch kann er mehr Zustände entfernen, in manchen Situationen Beobachtung statt Manipulation verwenden und einen Gegenstand oder eine Person mit +2 auf einen Wurf segnen.

Das war erfreulich kurz und wir können zu Kapitel 5 kommen, das sich mit dem Kämpfen befasst. Initiative wird mit Spielkarten von 1-10 bestimmt, je geringer, desto früher bist du an der Reihe. Easy-Peay. Wenn ich an der Reihe bin, kann ich eine langsame und eine Schnelle Aktion durchführen. Schnell sind zum Beispiel Bewegungen, Haltegriffe, Losreißen oder Parieren . langsam sind Angriffe, Versuche zu Überzeugen, Verletzungen behandeln oder Rituale (teils sogar länger als eine Runde).

Insgesamt ist der Kampf in Zonen organisiert, was ich wirklich elegant finde. Nicht simulationistisch, sondern eher von einem Spielstandpunkt an dieses Element heranzugehen passt hier (ähnlich wie bei beispielsweise Finsterland) genau zum Spielgefühl.

Durch erlittenen Schaden erhalten Charaktere und Monster Zustände und werden so immer und immer schwächer. Irgendwann, wenn alle körperlichen oder geistigen Zustände abgehakt sind und noch ein weiterer Schaden erlitten wird, ist der Charakter gebrochen – sprich: er ist unfähig weiterzukämpfen. Komisch, dass hier wieder etwas simuliert wird. Das ist nicht ganz einheitlich. Das wäre vom Design her klarer gegangen.

Der Rest des Kapitels erklärt dann die Zustände und geht auf Ausrüstung im Kampf ein.

Kapitel 6 heißt Die Gesellschaft und das Hauptquartier und liest sich großartig. Hier geht es um den Hintergrund. Saugut. Hier kann ich meine eigene Gesellschaft erstellen. So braucht ihr eine Turnhalle, um körperliche Zustände loszuwerden, oder ein Verlies, damit gefangene NSC nicht entfleuchen können…

In Kapitel 7 gibt es den großen Hintergrund-Rundumschlag. Der Teil ist super und viel zu kurz. Ich hätte gerne noch viel mehr über den mythischen Norden gelesen, aber ich bin sicher da gibt es noch Material, das ich mir zu Gemüte führen darf. Alleine der Abschnitt über Upsala ist so liebevoll aufbereitet, dass ich sofort losspielen und eine Gruppe dorthin schicken möchte. Meine Favoriten sind hier die Junta, eine Studentengesellschaft, deren Ziele nicht so genau klar sind – ha, da wird mir schon etwas einfallen.

Die eigentlichen Stars des Spiels, die Vaesen, erhalten in Kapitel 8 ihr Denkmal. Hier findet ihr alles vom Bachpferd über die Elfe und die Meerjungfrau bis hin zum Wiedergänger. Außerdem gibt es eine übersichtliche Tabelle zu NSC sowie einen kleinen Abschnitt zu Vaesen in aller Welt.

Das vorletzte offizielle Kapitel beschreibt die Mysterien, sprich, es ist eine Art Spielleitungsteil, denn hier erfahre ich, wie ich eigene Mysterien (sprich: Abenteuer) entwerfen kann. Das Mysterium beginnt immer mit einem Vaesen (entweder einem aus dem Buch oder einem selbst kreierten), dazu gesellen sich Konflikte, Missetaten und ein Schauplatz. Unterstützt von Tabellen kümmere ich mich dann um Stimmung und Hinweise und die Art und Weise, wie wir uns dem großen Höhepunkt nähern. Sehr elegant. Ich mag ja solche Werkzeug-Modul-Systeme.

Jetzt gibt es neben dem modularen Brainstorming noch eine klare Struktur. Gefällt mir immer mehr:

  • Prolog
  • Einladung
  • Vorbereitungen
  • Reise
  • Ankunft
  • Orte
  • Konfrontation
  • Nachwehen

Ausgezeichnet. Damit komme ich gut klar.

Den Abschluss bildet Kapitel 10 mit dem Beispielabenteuer Der Tanz der Träume. Auch dieses richtet sich genau nach den einzelnen Schritten des Vorkapitels und ist wirklich gut zu überblicken und vorzubereiten. Wenn ich ehrlich sein darf (denn Abenteuer sind ja mein Steckenpferd -. eher als Systemgebastel) kommt es mir sehr so vor als würden hier echt viel Worte gemacht für ein wirklich kleines Abenteuerchen, das extrem von seiner Stimmung lebt. Ich muss es wohl in Bälde mal leiten…

Den wirklichen Abschluss bilden aber eine ganze Reihe an Tabellen, mit denen ich (alternativ zum vorne geschilderten Procedere) einen Charakter erstellen kann. Ganz ehrlich gefällt mir das sogar noch besser, zumal hier auch noch direkt eine komplette Hintergrundgeschichte entsteht. Da kommt leichtes Beyond the Wall-Stimmung auf.. Ist wesentlich weniger frei, aber dafür schön zufallsbasiert. Das mag ich ja.

Fazit

Hui! Das hat mich jetzt überrascht und kalt erwischt. Ich bin ja eher in der klassischen Fantasy beheimatet, was die bevorzugten Systeme und Geschichten angeht – aber diese düstere nordische Fantasy in unserer Welt und einer nicht allzu fernen Zeit hat es mir schon angetan. Toll illustriert und mit einem zwar wunderschönen, aber immer leicht bedrohlichen skandinavischen Märchenhintergrund versehen ist Vaesen wirklich erfrischend anders.

Ich bin echt begeistert.

… jetzt muss ich nur noch ausprobieren, das Spiel zuerst so zu spielen, wie es geplant ist und dann mal experimentell mit der Erzählperspektive in der dritten Person wie es ja als Kunstgriff in Geh nicht in den Winterwald der Fall ist. Das könnte total rocken und es könnten wunderschöne düstere Märchen dabei entstehen.

Bewertung

4,75 von 5 unheimliche Vaesen

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