Attributswürfe in OSR-Systemen

„Diebesfertigkeiten sind das Ende des Rollenspiels!“

… so heißt es oft in Old-School-Kreisen. (Also jetzt WIRKLICH OlD-SCHOOL – die US-Grognards, auf die man in englischsprachigen Foren trifft) Das bezieht sich auf die Tatsache, dass in den Anfang 1974 erschienen OD&D-Regeln keinerlei Fertigkeitswürfe vorgesehen waren, dann aber durch das Greyhawk-Supplement etwa ein Jahr später der als unpassend empfundene Mechanismus der Diebesfertigkeiten eingeführt wurde.

Dazu muss ich vielleicht einen kleinen Schritt zurücktreten und kurz auf die Entstehung des Rollenspiels eingehen. Wie die Älteren unter uns wissen und die anderen jetzt erfahren, ist das Rollenspiel aus Tabletop-Schlachten heraus entstanden. Hier gab es natürlich ausschließlich Regeln für Kampf, andere Elemente der Welt waren da nicht interessant oder wurden beispielsweise bei klassischen Schlachtenszenarien durch reale Verhandlungen abgebildet.

Auch als dann die nächsten beiden Schritte gegangen wurden, und zwar nicht Armeen, sondern einzelne Figuren zu spielen sowie das Ganze in Fantasy-Settings zu versetzen, standen erst einmal die reinen Kampfregeln im Fokus.

Und so wurde auch in den späten 60er Jahren und größtenteils bis in die Mitte der 70er Jahre komplett ohne Würfelwürfe jenseits der Kämpfe gespielt. Das ist aus heutiger Sicht, wo wir bei der Charakter-Erschaffung, sei es bei D&D, bei DSA oder Cthulhu viel Hirnschmalz darauf verwenden, wie wir die Fertigkeiten unserer Charaktere entweder geschickt verteilen, oder sie ganz an unsere Vorstellung der Spielfigur anpassen, komplett unverständlich.

Wie wurde also damals gespielt, wenn es keine Fertigkeiten gab, auf die bei unsicheren Aktionen gewürfelt wurde?

Vielleicht kennt ihr die legendäre 10-Fuß-Stange noch. Die ist für mich der Inbegriff dieses Spielstils. Zusammen mit Murmeln, dem 1l-Wasserbeutel oder dem Ölfläschchen. Denn die Antwort auf diese Frage ist ganz einfach. Die Situationen wurden komplett rollenspielerisch gelöst. Mit Hilfe von Gegenständen, die der Charakter besaß und präzisen Beschreibungen.

Da ist eine abgedeckte Fallgrube im Gang vor mir? Klarer Fall. Ich habe vor dem Betreten des Ganges beschrieben, wie ich den Boden und die Wände des Ganges vorsichtig mit meiner 10-Fuß-Stange abtaste, um ebensolche Probleme frühzeitig zu erkennen. Tat ich das nicht, fand sich mein Charakter schnell in der Fallgrube wieder und erlitt 1W6 Schadenspunkte. So war zwar vielleicht der Charakter tot, aber ich als Spieler*in hatte etwas Wichtiges gelernt und würde es beim nächsten mal anders machen. Schlauer.

Und ja – so hat das Spiel einen völlig anderen Fokus: Die Herausforderungen richten sich mehr an Spieler*in als an Charakter. Das ganze Spiel war eine Art Wettkampf, cleverer oder gerissener zu sein als die Spielleitung – alle ihre Schachzüge vorauszuahnen und zu kontern. Ein Streit der Intellekte. Vielleicht wird es jetzt etwas verständlich, dass viele das Hinzufügen von Fertigkeiten als den Untergang der abendländischen Kultur empfanden. Es ist ja immer schwer, sich an neue Dinge zu gewöhnen.

Kleine Randbemerkung: Ihr fragt euch sicher, was Murmeln, Wasser oder Ölfläschchen für tolle Nutzen haben? Da gibt es jede Menge unterschiedlicher Verwendungszwecke im old-schoolig geprägten Rollenspiel. Hier mal einige aus der Hüfte geschossen. Murmeln lassen mich Höhenunterschiede im Gang erkennen, können verfolgende Gegner ins Straucheln bringen oder irgendwohin geworfen, Wachen in die falsche Richtung jagen lassen. Mit meinem Wasserschlauch kann ich Wände besprengen und so die Spalten einer Geheimtür erkennen; auf den Boden gegossen könnte das Wasser eine Falltür sichtbar machen oder hilfreich gegen Feuer-Elementare sein. Öl ist der Universalgegenstand. Als Brennmittel für Laternen, um Dinge rutschig zu machen oder irgendetwas zu entzünden ist es immer gut.

Aber zurück zu Fertigkeiten, denn bevor es dann mit AD&D 2 ein geregeltes Fertigkeitensystem gab, war die Übergangslösung der sogenannte „Attributswurf“. Und seien wir ehrlich, das ist mit kleinen Anpassungen für mich immer noch die beste Lösung, die ich beispielsweise bei Labyrinth Lord oder Swords&Wizardry auch heute noch verwende.

Bei sämtlichen D&D-Klonen gibt es ja die klassischen 6 Attribute, deren Werte im Regelfall zwischen 3 (mies) und 18 (toll) liegen. Sämtliche Aktionen, die ein Charakter im Verlauf des Spiels durchführt, können auf eines dieser Attribute zurückgeführt werden. Also würfle ich einfach mit einem W20 und muss versuchen, kleiner/gleich den zutreffenden Attributswert zu würfeln, um Erfolg mit diesem Attributswurf oder der „Attributsprobe“ erfolgreich zu sein.

(Direkt mal ein heißer Tipp an dieser Stelle: Wir befinden uns hier in Rollenspielgewässern, in denen nicht alle Mechanismen vereinheitlicht sind so rate ich meinen Neulingen immer, auf ihren Charakterbögen einen Pfeil nach unten (neben die Attribute) und einen Pfeil nach oben (neben den Rettungswurf oder die Rettungswürfe) zu zeichnen, damit sie im Spielverlauf nicht durcheinanderkommen. Nichts zu danken.)

Ich verwende jetzt noch einen kleinen Kniff bei den Attributswürfen in meinem Spiel, denn zumeist tun Charaktere Dinge, die zu ihrer Klasse und ihrer Ausrichtung passen. Krieger machen Kraft-Dinge, Magier machen Intelligenz-Sachen, Diebe Geschicklichkeitskram. Dadurch sind wirklich viele, viele dieser Würfe erfolgreich, was sich auch wieder nicht ganz richtig anfühlt. Deswegen gebe ich persönlich noch Boni oder Mali aufgrund der Schwierigkeit der angegangenen Aufgabe:

  • (alltäglich – lasse ich gar nicht auswürfeln)
  • sehr leicht +1
  • leicht -1
  • normal -3
  • schwierig -5
  • sehr schwierig -7
  • episch -9

Falls das für euren Geschmack zu streng ist, könnt ihr die Abzüge natürlich auch mit -1/-2/-3/-4/-5 staffeln. Gar kein Problem. Das ist für mich das Gute an allen älteren D&D-Versionen und ihren Klonen – die Grundmechanismen sind einfach nicht kaputt zu kriegen und ihr könnt sie leicht auf eure Bedürfnisse anpassen.

Wichtig ist noch zu erwähnen, dass hier eine gewürfelte „20“ immer ein Misserfolg ist und eine „1“ immer ein Erfolg – völlig unabhängig von den Modifikatoren.

Wenn ihr Fragen habt, immer her damit!

4 Gedanken zu „Attributswürfe in OSR-Systemen“

  1. Hallo Moritz! Tolles Thema! Was ich mich schon eine Weile frage: Wann und wo tauchte der Attributswurf das erste Mal offiziell in einem Regelwerk auf? Total merkwürdig, im Nachhinein betrachtet, dass es von Anfang an Attribute gab, aber keinen Attributswurf.

    1. Hi! Ich habe etwas quergelesen und keine präzise Antwort gefunden, aber ich habe festgestellt, dass das schon recht früh als Krücke benutzt wird. Ich meine, ich wäre beispielsweise mal in Holmes Basic über einen Nebensatz gestolpert.

  2. Ich löse sowas meistens mit dem W6 von 1-5, aber meistens bei 1-2, so wie Geheimtüren suchen halt. Und alltäglich lasse ich auch nicht würfeln – es sei denn, das der Kämpfer versucht das Zaubersiegel zu erkennen, oder so… ^_^
    Das hat den Vorteil das Attribute nicht doch um die Ecke noch wichtiger werden – bei 3W6 in Order oder auch ausgesucht ein ernstes Problem, finde ich – in Ausnahmesituationen lasse ich dann aber doch mit dem W20 würfeln. Letzte Runde gab es zum Beispiel ein Tauziehen- Wettkampf mit einer Rankenpflanze, die sich dank abwechselnd guter und schlechter Würfe über mehrere Runden hinzog… und das alles für einen rostigen Plattenpanzer und eine Kette im Wert von 250 GM… 😀 Da wäre bei Türen öffnen oder so echt zu wenig Differenz drin gewesen.
    Achso, S&WComplete.

    1. Ja. Suchen ist klassisches 1 oder 1-2 auf 1W6. Ansonsten mag ich Attributswürfe. An die hab ich mich einfach gewöhnt.

Kommentare sind geschlossen.