[Historie] Der Griff nach unseren Kindern

Vor Jahren habe ich mal dieses großartige Machwerk in einem Bücherschrank gefunden, drübergeblättert, gekichert und es dann ins Regal gestellt. Vorgestern bei einer Podcast-Aufnahme mit Michael vom Fantastische Antike-Podcast habe ich nach langer Zeit mal wieder daran gedacht.

Ihm war gar nicht so klar. mit welchen Widerständen das Hobby Rollenspiel in den 80er Jahren, aber in geringerem Maße auch bis heute zu kämpfen hat. Mittlerweile beginnt dieser Zeitvertreib durch Fernsehserien wie Stranger Things, Community oder Big Bang Theory, langsam einen Weg in die Mitte der Gesellschaft zu finden. Es wird immer mehr erkannt und akzeptiert, dass es sich einfach um eine Art Brettspiel handelt, nicht um den Versuch, wirklich und wahrhaftig Dämonen zu beschwören oder sich mit einem Schwert durch reale Gegner zu schnetzeln.

Schauen wir uns also Der Griff nach unseren Kindern – Einblicke in ein (un)heimliches Erziehungsprogramm aus dem Jahr 1988 ein wenig genauer an. Das Ding ist echt aufschlussreich – und dabei geht es auf das Rollenspeil überhaupt nicht ein. Wissen um diese diabolische Bewegung hätte die beiden Autor*innen sicher um den Schlaf gebracht.

Das Cover – (Co) Verlag Schulte und Gerth

Schon das Cover wird es schaffen, alle besorgten Eltern der späten 80er Jahre in Alarm zu versetzen. Das beginnt beim Titel. Hey, irgendwer oder irgendwas will nach unseren Kindern greifen. Alaaaarm! Gut, dass uns hier jemand Einblicke gewähren kann. Und dann sind es noch Einblicke in ein Erziehungsprogramm! Ein Programm! Da hat jemand einen Plan. Den setzt er durch. Und er greift nach meinen Kindern! Alaaaaaaarm! und dieses Programm erzieht. Verdammt. Das ist doch meine Aufgabe. Die da oben oder wer auch immer soll aufhören, meine Kinder zu erziehen. Und dann findet das noch heimlich statt. Dann sollen die doch wenigstens dazu stehen. Puh. Ganz schön unheimlich. Toller Titel, aus meiner Sicht vielleicht eine Spur tendentiös. Schade, dass die beiden Autor*innen nicht noch Doktortitel haben, das hätte sich noch viel besser gemacht und hätte noch seriöser gewirkt.

Und was ist mit der Illustration? Was geht da ab? Uh. Komische Dinge kriechen aus dem Fernseher. Ah. Fernseher. Ja, dem misstraue ich ohnehin. Da glotzt meine Sabine ohnehin schon zu viel rein und Markus will immer dieses bescheuerte Raumschiff sehen. Völlig ohne Copyrights zu verletzen werden hier schon einige Figuren der Popkultur bezichtigt, „unheimlich“ nach meinen Kindern zu greifen. He-Man (der aussieht wie Hulk Hogan), Battlecat und das Sams sind schon aus der Glotze geflüchtet, auch Pippi Langstrumpf ist schon entkommen. Gerade kriechen ET und ein wilder Kerl aus der Röhre, irgendein Grim Reaper und ein Regenbogen sind noch im Fernseher, aber die entkommen sicher auch bald.

Den Regenbogen finde ich besonders spannend. Der könnte mehrere Dinge bedeuten. Er könnte ganz vulgär für die Gummibärenbande stehen. Er könnte für das Gute stehen, das sich der ganzen Sache entgegenstellen muss. Aber er könnte auch symbolisieren wie schleichend und „heimlich“ dieses Erziehungsprogramm durchgeführt wird.

Schauen wir doch mal auf die Rückseite.

Die Rückseite

Ooooookay! Der Text rockt schonmal alles weg und verstärkt nicht nur meinen Eindruck vom Cover, sondern ballert direkt aus allen religiös-fundamentalistischen Rohren. Und das sage ich, als von der Kirche legitimierter Lehrer für evangelische Religion. Bisher gab es in Kinderzimmern also brav-biedere Püppchen und harmlose Würfelspiele. Heute sind es Kinderbücher, Hörspielkassetten, Filme, Comics und „sogar“ Würfelspiele.

Und diese sind randvoll mit „bestimmten“ Botschaften.

Und hey, das ist doch vielleicht nicht nur Zufall, das muss doch jemand orchestrieren.

Die Kurz-Bios der Autor*innen weisen da schonmal die Richtung. Katrin Ledermann hatte einst eine Karriere, rutschte dann ab, gab den Guru, stieg dann aus der New-Age-Bewegung aus und ist jetzt natürlich prädestiniert, davor zu warnen. Ulrich Skambraks ist Medienkritiker mit dem Schwerpunkt Fantasy und Okkultismus. Schade, dass er damals noch nicht an der Youtube-Universität studieren und später lehren konnte.

Aber Boshaftigkeiten beiseite – das Buch ist schon auf dem Umschlag eine gute Mischung aus vorgeblicher Kompetenz des Autor*innen-Teams und einer ganz klaren Warnung an alle Eltern, die jetzt im Inneren ausgeführt werden wird.

Ich habe Angst, freue mich und grusele mich gleichzeitig, also schauen wir mal ins Inhaltsverzeichnis.

Da wird echt aufgefahren. Und wir erfahren direkt wo das Problem liegt – die Gedanken der New Age-Bewegung sollen ins Kinderherz transportiert werden. Und das geschieht subtil und schrittweise. Ich will da jetzt echt nicht auf die einzelnen Kapitel eingehen – ihr könnt euch selber diese wunderbar manipulativen Einzelpunkte ansehen. Ich kann mir gerne auf Wunsch mal einzelne Elemente genauer ansehen. Mein Favorit da wäre das Brettspiel „Die drei Magier“. Da sehe ich auch eine große Gefahr, dass ich von einem simplen Brettspiel in den Okkultismus gestürzt werde.

Es gibt im ganzen Buch nur sehr wenige Illustrationen (ich meine drei gesehen zu haben), aber eine muss ich euch unbedingt zeigen.

Glücksbärchis – Presseheft

Ah. Okay. Jetzt wissen wir auch, was es mit dem Regenbogen auf dem Cover zu tun hat. Er ist die Verbindung zwischen der Menschenwelt und der Welt der Geister. Ja, genau. So ist das. Hätte ich als Religionslehrer jetzt von der Bibel her symbolisch anders gesehen, aber come on, so passt das viel besser in die Bangemacherei. Ist notiert: Regenbogen = gefährlich.

Lesen wir mal rein…

Bibel und Jenseits

Ha. Die Person, die das Buch vor mir besessen hat, hat schon genau die Schlüsselstelle des gesamten Buchs für mich unterstrichen. Ich will für sie hoffen, dass sie das Ganze kritisch gesehen hat und nicht den Autor*innen aus der Hand gefressen hat. Klar. Auch ich finde, dass New Age Konzepte keine Antworten auf Diesseits und Jenseits geben – mal ganz abgesehen davon, dass der New Age-Begriff im Jahr 2021 schlichtweg überhaupt keine Rolle spielt. Aber das Zwischenfazit, das die beiden Schlawiner ziehen, ist genau so abenteuerlich. Ich finde die Bibel ein großartiges und spannendes Buch, in dem es sich lohnt (kritisch) zu lesen, aber dass sie „Fakten über die Beziehung von Diesseits und Jenseits“ enthält, ist – nun ja – wie soll ich es sagen? Gewagt. Das mit solcher Sicherheit zu behaupten ist echt ein Kracher und macht es mir schwer, mich weiter mit dem Buch auseinanderzusetzen.

Wie gesagt – ich sehe mir auf Wunsch gerne Teile genauer an, zum vorläufigen Abschluss sollt ihr noch etwas über den finalen Anhang erfahren, der ist einfach sehr repräsentativ für das gesamte Werk.

Der kleine Text heißt „Mut zum Anderssein – auch in der Schule“ und beginnt damit, dass die Autorin in der 9. Klasse im Deutschunterricht einen kurzen Aufsatz schreiben „Als welches Tier möchte ich wiedergeboren werden?“ Das kann sie natürlich nicht mit ihrem festen Glauben an Gott vereinbaren. Hui. Ich bin gespannt, wie sie diesen Konflikt lösen kann. Okay, die Eltern wissen auch erstmal nicht weiter. Aber der Bruder, ein engagierter Jungscharführer, beharrt darauf, dass sie den Text nun wirklich nicht schreiben kann. Sie könne doch den Kindern in den Andachten nicht von Gott erzählen und sich nicht ehrlich zu ihm bekennen. Gut. Sie betet. Ihre Eltern beten für sie. Jetzt ist alles klar. Sie wird das nicht schreiben, sie kann ihren Auferstehungsglauben nicht leugnen. Aber was nun? Beim Schreiben des Aufsatzes betet sie nochmal. Gott gibt ihr Kraft. Sie schreibt irgendwas über Delfine, aber erklärt im Aufsatz, warum sie den Aufsatz nicht so schreiben kann, Gott gibt ihr Kraft, sie fühlt sich toll, der Lehrer gibt wegen Thema verfehlt ne schlechten Note, aber sie ist sich sicher, dass er sich mies fühlt, weil sie sich ihm widersetzt hat. Yada-yada-yada.

Himmelherrgottsakra, was für ein insgesamt völlig unrealistisches Setting. Da ist wirklich jedes einzelne Element erfunden und/oder so verfremdet, dass es zur Moral der Geschicht‘ passt. Aua.

Verdammte Axt, ich bekomme gerade fast wieder Lust wissenschaftlich-analytisch zu lesen, schreiben und arbeiten. Das habe ich doch schon vor 25 Jahren „for good“ hinter mir gelassen.

8 Gedanken zu „[Historie] Der Griff nach unseren Kindern“

  1. Was für ein Buch!

    Der Grim Reaper soll, glaube ich, Skeletor sein. Die Zeichnungen sind echt schon ein Thema für sich …

    Eigentlich würden mich ja gleich mehrere Kapitel aus dem Buch interessieren. Andererseits weiß ich aber auch nicht, ob ich da wirklich mehr Details wissen möchte 😉

  2. 😂😂😂 ich komme aus dem Lachen nicht mehr raus. Ja verdammt, wer hätte gedacht was für teuflische Pläne sich hinter diesen plüschigen Glücksbärchen verbergen. Evtl. kann man diese Gedanken direkt weiter verwursten … ein neues Monster für DCC?

    Na und das die Ewoks Botschafter der New Age Bewegung sind, war mir schon immer … äh … klar 🤪

    Danke Moritz, dass Du es auf Dich genommen hast einen tiefen Blick in dieses Stück Fantastischer Literatur zu werfen.

  3. Dann mal ein Wunsch für die ganz krass Harten – mich würde (gerade vor dem Hintergrund von Amerikanern und deren „Forschung“) das Kapitel über Rollenspiele interessieren. 0:-)

    Wobei ich dem Autoren-Duo durchaus Recht geben muss – die He-Man-Figuren (und anderes Spielzeug) haben durchaus eine Botschaft vermitteln wollen: kauf mich, kauf meine Kumpels, kauf meinen Merch, kauf, kauf, kauf!!!

    Ansonsten kann ich bestimmt auch beim Schach oder Mensch-ärgere-dich-nicht okkulte oder weltanschauliche Weisheiten hinein interpretieren – wenn ich das unbedingt will. OK, wo (die drei)“Magier“ drauf steht, muss es ja um etwas Okkultes gehen, aber das klingt für mich schon ziemlich an den Haaren herbei gezogen.

    Vielen Dank schon mal für die Seelen-, Geist- und Augenqual!

    1. Okay, wurde schon mehrfach gewünscht. Da muss ich mir doch die 8 Seiten zum Rollenspiel mal genauer ansehen.

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