[Rezension Harbour (Brettspiel – Frosted Games]

… und der Rezi-Stapel wird wieder etwas kleiner. „Kleiner“, weil Harbour schon von der Schachtel her ein kleines, aber feines Spielchen ist und nicht viel Platz eingenommen hat. Trotzdem immer wieder schön, wenn man etwas vom Stapel ins Regal stellen kann.
Das Cover – (Co) Frosted Games
Name: Harbour
Verlag: Frosted Games
Autor: Scott Almes
Übersetzer: Daniel Danzer
Illustrator:Rob Lundy
EAN: 9-780201-379624
Preis: ca. 18 Euro
Link: Frosted Games (wieder erhältlich)
Alter: 10+
Spieler: 1-4
Dauer: 30-60 min
Genre: Wirtschaft, Worker Placement
BGG-Ranking: 1060
Aufmachung
36 Gebäudekarten, 4 Bonuskarten, 1 Hafenmeisterkarte, 20 Holzwarensteine, 4 Holzspielersteine, 1 Markttableau, 1 Übungsgegner-Tableau, 1 Faltanleitung
Hmmm… Die Illus sind irgendwie witzig mit comochaften Fantasyfiguren wie kleinen grünen Goblins als Hafenarbeiter, einem lilafarbenen Kraken als Sushimeister, einer Hyäne als Schrottsammler oder einem Elfen, der weinend eine Flöte schnitzt. Auch die Flavour-Texte der Charaktere kann man sich problemlos ein oder zwei Mal durchlesen und still in sich hineinkichern. Wirklich witzig und bei den ersten Partien sehr nett anzusehen und zu lesen, aber – wenn ich ehrlich bin – nicht perfekt zur Spielmechanik passend, denn die ist knallhart, ernsthaft und vergibt keinerlei Fehler.
Auch mit der Anleitung habe ich mich halbwegs schwer getan, aber ich fürchte, das lag daran, dass ich sei ob ihrer geringen Größe auf die leichte Schulter genommen habe. Denn als ich mich konzentriert an die Sache gemacht habe, habe ich auch schnell kapiert, was das Spiel von mir wollte und in welche Richtung es laufen wird. Wundert mich aber dennoch, dass Matthias „der feine Herr Redakteur“ Nagy da nicht noch redaktionell eingegriffen und die ganze Chose didaktisch etwas schmackhafter angerichtet hat.
… und wo ich schon beim Meckern bin – und das, obwohl es eigentlich nicht wirklich etwas zu beanstanden gibt – kann ich noch kurz anmerken, dass wir uns für das Platzieren der Warenmarker auf dem eigenen Board ein weiteres Feld gewünscht hätten, denn, wenn man die viereckigen Marker auf die Felder legt, die dafür vorgesehen sind und auf denen markiert ist, wie viel Einheiten einer Ware man besitzt, dann sieht man eben jenes nicht mehr – und zwar wie viele Einheiten einer Ware man besitzt. Klaro, die 1 liegt neben der 2, die neben der 3, jene neben der 4, diese neben der 5 und die schlussendlich neben der 6, aber es wäre trotzdem nett, das auf einen Blick sehen zu können ohne seine Token zur Seite zu schieben oder aus den benachbarten Feldern zu extrapolieren, um festzustellen was nun Phase ist.
Das Spiel
Okay, wie schon beschrieben sind Illus und Texte echt unterhaltsam und witzig, aber das eigentliche Spiel ist knallhart und verzeiht nichts. Und wie es bei Expertenspielen üblich ist, gibt es fast keinerlei Zufallselement. Alles ist (theoretisch) problemlos zu berechnen und wer es schafft eine oder gar zwei Runden in die Zukunft zu denken, der wird hier große Erfolge feiern können. Ich persönlich kann ja nicht einmal bis zum Zug des nach mir folgenden Spielers vorausplanen, deswegen werde ich wohl nie ein großartiger Harbour-Spieler, aber das hat mich ja noch nie davon abgehalten, mir eine völlig dezidierte und hieb- und stichfeste Meinung zu etwas zu bilden.
Was also tun wir Spieler bei Harbour? Nun, das ist in einem Satz erklärt. Wir setzen unsere Arbeiter auf Gebäude, um deren Effekt auszulösen, organisieren unsere Waren und versuchen 4 Gebäude zu kaufen, die uns möglichst die meisten Siegpunkte am Tisch bescheren. Kindergeburtstag, oder?
Gut, das war die Kurzfassung – ich muss es wohl etwas näher erläutern und zäume das Pferd von hinten auf: Wie schon gesagt muss man Gebäude kaufen – und zwar vier davon, denn dann endet das Spiel (nachdem alle noch eine Aktion tätigen dürfen) und Sieger ist derjenige, der mit seinen Gebäudekarten (und vielleicht den Bonuskarten) die meisten Siegpunkte eingespielt hat.
Um Gebäude kaufen zu können muss ich Waren verkaufen – und zwar immer zu dem Kurs, den die Waren gerade auf dem Marktplatz einbringen. Fieserweise gibt es einen (auf der Marktplatzkarte sehr gut optisch dargestellten) Warenkriesluaf, sodass sich immer, wenn ein Spieler Waren verkauft, die Werte komplett verändern und es passiert eher öfter als selten, dass ein genialer Plan scheitert, weil der miese Spieler, der direkt vor einem sitzt, am Marktplatz rummanipuliert hat. Fairerweise muss man sagen, dass man bei ausreichender Gehirnkapazität locker vorhersagen kann, was die anderen Spieler tun werden, sodass man sich darauf vorbereiten kann. Wohlgemerkt: Bei ausreichender Gehirnkapazität…
Gut, auch das hört sich immer noch einfach an. Ich fasse zusammen: Man muss also irgendwie Waren generieren, sie zum richtigen Zeitpunkt abstoßen und dann Gebäude kaufen.
Waren generiere ich, indem ich entweder meinen Arbeiter auf meinen eigenen Landungssteg (oder das zum Charakter gehörende Gebäude) lege, wodurch ich mir je 1 Einheit von 2 verschiedenen Waren nehmen oder aber ein Gebäude kaufen kann. Nun kann ich aber meinen Arbeiter auch auf die ausliegenden Gebäude (es liegen immer Spieler+3 allgemeine Gebäude aus) legen und deren Effekte auslösen. Ich darf auch Gebäude nutzen, die anderen Spielern gehören, dann muss ich denen allerdings eine Ware meiner Wahl vermachen. Das wiederum kann ich vermeiden, wenn ich selber ein Gebäude besitze, auf dem ein Zylinder abgedruckt ist. Ihr merkt schon, es gibt so einiges zu beachten, denn es gibt neben dem Zylinder noch drei weitere Symbole, die sich auf das Spiel ausiwrken: eine Münze, mit der ich ausliegende Gebäude billiger bekomme, ein Lagerhaus, mit dem ich beim Verkauf eine Einheit einer Ware meiner Wahl behalten darf und ein Anker, der für Spezialfähigkeiten einiger Gebäude benötigt wird.
Ein wirklich großer Vorteil des Spiels ist, dass bei aller „Übersichtlichkeit“ noch einige coole Möglichkeiten mitgeliefert werden, um es komplexer und tiefer zu machen. So gibt es noch 4 Bonus-Kärtchen, die verdeckt ausgeteilt werden können und bei Spielende noch zusätzliche Siegpunkte geben – und – was absolut empfehlenswert ist – man kann statt mit dem normalen Landungssteg als Spielertableau mit der Rückseite der Karte spielen und jeder Spieler hat stattdessen einen bestimmten Charakter, der zusätzlich noch eine Spezialfertigkeit hat.
Fazit
Ein auf den ersten Blick „kleines“ Spiel, das nach den ersten Spielminuten immer „größer“ wird. ich würfle ja immer gerne und prügle meinen Gegenspielern die Lebenspunkte in Richtung Null, aber es hat mir trotzdem Spaß gemacht, meine Waren zu organisieren und mir die großartigsten Synergie-Effekte zwischen den Karten zu überlegen. Großartig ist es auch immer, den anderen die Waren auf dem Marktplatz komplett durcheinanderzubringen und in ihre verzweifelten und hasserfüllten Gesichter zu sehen. Ja, es geht auch ohne Kämpfen. Auch für den Dialog: „Ich setze meinen Arbeiter in deinen Sushiladen!“ – „Okay, dann mal her mit einer Ware!“ – „Vergiss es, ich habe einen Zylinder!“ lohnt es sich schon, die Schachtel zu öffnen.
Vor allem mit den Charakterkarten und Bonuskarten ist das Spiel für seine Größe echt ein ordentlicher Komplexitätshammer, dem zwar irgendwie der Funke Genialität fehlt, um mich richtig wegzuhauen, aber ihr könnt versichert sein, dass ich Harbour noch oft spielen werde, um wenigstens eine gewisse Meisterschaft darin zu erlangen, obwohl mein Gehirn nicht perfekt dafür geschaffen ist.
Auch für solche Gimmicks wie die Hafenmeisterkarte, mit der sich der Sieger sowohl feiert als auch fotografiert, um sich damit bei Twitter brüsten zu können oder die Möglichkeit des Solo-Spiels bin ich ja immer zu haben. Prima Sache!
Kurz: Interessantes Design, fieser Marktplatzmechanismus und tolle Synergie-Effekte.
P.S.: Dass ausgerechnet Horst, meine Benchmark für Schnetzelspiele Harbour als interessantestes Spiel eines kompletten Spieletags bezeichnet hat, hat mich doch nachhaltig beeindruckt. Das ist wirklich eine Auszeichnung, die man mit einem Siegel belohnen und auf die Spieleschachtel drucken sollte.
Bewertung
4 von 5 komische Dinge machende Goblin-Hafenarbeiter