[Rezension] Terra Mystica (Brettspiel-Kracher)

In der Woche vor Ostern ist es mir tatsächlich fünfmal gelungen Terra Mystica zu spielen – witzigerweise war meine erste Partie genau einen Tag, nachdem uns Vorzeige-Nerd Wil Wheaton teils gehyped und teils zutiefst frustriert bei Twitter über seine erste Partie auf dem Laufenden gehalten hat. Ich fürchte zwar, dass ich noch immer nich hinter alle Mechanismen gestiegen bin, aber um eine kurze, semi-qualifizierte Besprechung zu schreiben, reicht es locker aus…
Das Cover – (Co) Feuerland Spiele
Name: Terra Mystica
Verlag: Feuerland
Autoren: Helge Ostertag, Jens Drögemüller
Illustrationen: Dennis Lohausen
EAN: 0610098413738
Preis: ca. 60 Euro
Alter: 12+
Spieler: 2-5
Dauer: 60-150 min (30 pro Spieler)
Genre: Worker Placement, Gebietskontrolle, Fantasy
BGG-Ranking: 3
Aufmachung
Wow! Ich habe noch nie eine so volle Spielschachtel gesehen. Da ist vom Kaufpreis ja alleine schon ein großer Anteil an die Holzindustrie gegangen, bei der gigantischen Menge an Holzpöppeln der unterschiedlichsten Farben und Formen. Noch dazu sind die Illustrationen von Dennis Lohausen wie immer eine Bank. In Anbetracht mangelnder besserer Ideen zähle ich euch einfach mal (kurz kommentiert) alles auf, was sich in der Box befindet:
– 1 großer Spielplan
– 1 Kultplan (für das spirituelle Wachstum)
– 7 doppelseitige Völkerplateaus
– 56 Landschaftsplättchen
– 75 Münzen (1er, 2er und 5er)
– 65 lila Machtchips
– 7 x 8 Wohnhäuser
– 7 x 4 Handelshäuser (die leider verdammt nach Kirchen aussehen!)
– 7 x 1 Festung
– 7 x 3 Tempel
– 7 x 1 Heiligtum
– 7 x 7 Priester
– 7 x 7 Markierungssteine
– 7 x 3 Brücken
– 10 Stadtmarken
– 8 Wertungsplättchen (von denen 6 pro Partie verwendet werden)
– 17 Aktionsmarken (für die gelben Sechsecke)
– 1 Spielendemarke
– 5 100-Siegpunkte-Marken
– 28 ovale Gunstplättchen
– 9 Rundenbonuskarten
– 5 Übersichtsplättchen
Wow!
Was abschließend zur Aufmachung gesagt werden muss, ist, wie ausgezeichnet die Spielmechanismen durch die Illustrationen unterstützt werden. Da hat sich echt mal jemand etwas bei gedacht, denn das eigentlich hochkomplexe Spiel wird durch viele kleine Hilfestellungen ausgezeichnet unterstützt und nimmt in den ersten Spielphasen etwas die Angst vor dem riesigen Regelberg, der vor einem steht und hilft gleichzeitig später dabei, keine Details zu vergessen. Das ist wirklich herausragend gelöst.
Das Spiel
Terra Mystica ist mal wieder eines der Spiele, wo man beim Blick auf den Schachtelinhalt und die Anleitung erschlagen wird und sich etwas sorgt, ob man es wohl jemals verstehen wird. Aber die Furcht ist unbegründet – nach nur zwei bis drei Spielrunden (von 6 in einer Partie) habt ihr den Durchblick und könnt euch so langsam Gedanken um erste Strategien machen. Also habt keine Scheu – tretet ein und habt Spaß!
Exzellent unterstützt vom Material kann man sich daraun machen, den Mitspielern alle möglichen Sachen zu geben und das Spielbrett und den Kultplan sowie alle Gunstplättchen und Rundenbonuskärtchen griffbereit zu platzieren.

Das Ziel ist es, innerhalb von sechs Runden möglichst viele Siegpunkte zu erringen, die man auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen erhalten kann.

Diese sechs Runden laufen in jeweils 3 Phasen ab: Einkommen, Aktionen und Kultbonus/Vorbereitung.

So erhält man zu Beginn Einkommen (Arbeiter, Priester und/oder Macht) für seine Gebäude, sowie später dann auch durch Karten oder Plättchen. Zuvor hat man in der ersten Runde noch gegen den Uhrzeigersinn ein Rundenbonusplättchen gewählt, das einem – wie der Name verrät – während und eventuell noch am Ende der Runde einen Bonus verleiht. Als Beispiel für die vielen cleveren Mechanismen des Spiels sei hier kurz erwähnt, dass nicht gewählte Bonuskarten in jeder Runde mit einem Goldstück versehen werden, wodurch sie im Laufe der Zeit dann vielleicht doch erstrebenswert sein können.

An Aktionen gibt es 8 verschiedene – Umwandeln und Bauen, Fortschritt bei der Schifffahrt, Fortschritt beim Umwandeln, Aufwerten eines Gebäudes, einen Priester entsenden, Machtaktionen, Sonderaktionen und Ausstieg aus der Runde.

Umwandeln und Bauen ist schnell erklärt und wohl die häufigste Aktion, denn indem man Spitzhacken einsetzt (die man mit Arbeitern erwerben kann) kann man ein an eine eigene Region angrenzendes Hex zum eigenen Gelände terraformen und anschließend für Arbeiter und Gold ein Gebäude draufsetzen. Man nimmt sämtliche Gebäude immer von links von seinem Spielertableau, denn so kann man direkt auf dem eigenen Brett ablesen, welches Einkommen man erhält.
Interessanter Mechanismus am Rande – beim Bauen oder Aufwerten eines Gebäudes können Spieler, die benachbarte Gebiete bebaut haben, entscheiden, ob sie (je nach Größe des errichteten oder umgewandelten Gebäudes) zwischen 1 und 3 ihrer Siegpunkte in Machtpunkte umwandeln wollen. Hört sich im ersten Moment so an, als wäre das total dämlich, aber gerade im Verlauf des Spiels, wird diese Option zunehmend interessant.

Fortschritt bei der Schifffahrt oder beim Umwandeln ist auch selbsterklärend. Gegen einen Gegenwert an Arbeitern/Priestern/Gold kann man sich in den beiden genannten Bereichen verbessern und kann weitere Reisen über die Flüsse machen oder günstiger terraformen.

Aufwerten eines Gebäudes dient dazu, um Wohnhäuser in Handelshäuser (Warum nur sehen die aus wie Kirchen?!?) umzuwandeln, Handelshäuser in Tempel oder Festungen oder Tempel in Heiilgtümer. Das hat zum einen den Vorteil, dass man für die tolleren Gebäude auch tollere Einkommen erhält – außerdem erhält man beim Errichten von Tempel und Heiligtum  Gunstplättchen, die einen kulttechnisch ordentlich weiterbringen und beim Errichten einer Festung schaltet man die Spezialfertigkeit des gespielten Volkes frei – das kann nie schaden.

Einen Priester entsenden kann man entweder, indem man ihn endgültig auf dem Kultplan platziert und 2 oder 3 Schritte voranrückt und einen von vier Slots pro Rubrik verstopft, oder indem man ihn nur kurzfristig einsetzt. So erhält man ihn in der nächsten Runde zurück, kann aber nur einen einzigen Schritt vorgehen. Der Kultplan wiederum ist eine eigene Wissenschaft für sich, denn zwischen manchen Schritten erhält man Machtpunkte, die allerhöchste Stufe darf man erst dann erklimmen, wenn man eine Stadt errichtet hat – am Ende des Spiels gibt es amtlich Siegpunkte für die jeweils Erst- bis Drittplatzierten einer jeder der vier Säulen.

Machtaktionen finden sich auf dem Spielbrett und können – wie alle Aktionen – nur einmal pro Runde ausgeführt werden. So kann man für 3 bis 6 Machtpunkte Aktionen durchführen, durch die man Gold erhält, Brücken bauen kann oder einen Priester erhält…

Dies ist wahrscheinlich auch der richtige Zeitpunkt, um den Machtkreislauf zu erklären. Auf dem Spielerbrett befinden sich drei Machtschalen, wobei man nur Machtpunkte einsetzen darf, die in Schale 3 liegen – verwendet man dort liegende Machtpunkte, beispielsweise, um Aktionen auf dem Spielbrett auszulösen, muss man die Punkte in Schale 1 legen, wodurch sie nicht mehr direkt verwendet werden können. Wenn ich aber neue Machtpunkte erhalte, kann ich sie wieder im Gegenwert von einem Machtpunkt in Schale 2 und für einen weiteren wieder in Schale 3 legen, was bedeutet, dass ich diesen Punkt wieder verwenden kann. Neben den Machtaktionen kann man mit den Machtpunkten in Schale 3 auch Priester (5 Machtpunkte), Arbeiter (3 Machtpunkte) und Gold (1 Machtpunkt) kaufen, wobei die drei Ressourcen zusätzlich noch abwärtstauschbar sind, sodass man für einen Priester auch einen Arbeiter oder ein Gold und für einen Arbeiter auch ein Gold eintauschen kann, aber das tun nur die Verzweifeltsten unter uns.

Für mich persönlich ist dieser Machtkreislauf die genialste Mechanik an diesem Spiel und es macht wirklich Spaß, den Kreislauf durch Synergieeffekte im Fluss zu halten und gerade in den letzten beiden Zügen des Spiels möglichst alles aus dem System herauszukitzeln.

Sonderaktionen findet man an unterschiedlichen Orten, beispielsweise auf den Rundenbonuskarten oder als Spezialfähigkeit mancher Völker und man kann sie genau einmal pro Runde auslösen, dann werden sie mit einem Aktionsmarker bedeckt und dürfen erst in der nächsten Runde wieder aktiviert werden.

– Abschließend kann man auch als Aktion seine Runde beenden, was zum einen bedeutet, dass der erste, der aussteigt, der Startspieler der nächsten Runde ist und zum anderen bei einigen Rundenbonuskarten diverse Boni fällig werden.

Was bis jetzt noch gar nicht zur Sprache kam, sind die 14 unterschiedlichen Völker, die zum einen schon auf den Völkertableaus kleine Unterschiede aufweisen und manche Dinge kostengünstiger oder schneller erledigen können – andererseits hat jedes Volk eine große Spezialfähigkeit sowie eine Spezialität, die beim Bauen der Festung freigeschaltet wird.

Ihr merkt schon, alleine beim Schildern der Basis-Aktionen schwirrt einem ordentlich der Kopf – aber seid unbesorgt, liebe Seifenkistenleser. Die Aufmachung von Terra Mystica unterstützt euch ausgezeichnet und ihr erkennt nach zwei oder drei Runden was das Spiel von euch möchte und könnt erste Strategien ausarbeiten und hoffen, dass sie eure fiesen Mitspieler nicht vereiteln…

Fazit
Ich habe, glaube ich, noch nie ein dermaßen hochdekoriertes Spiel besprochen – selbst General Stussner, der Tannenbaum, der sprechen kann, hat nicht so viel Lametta wie Terra Mystica. Seht einfach nur auf der oben verlinkten BGG-Seite vorbei und ihr wisst, was ich meine. Und ganz ehrlich? Die Leute, die das Teil mit Preisen überhäuft haben, liegen absolut richtig. Terra Mystica ist einfach großartig. Das Fantasy-Thema ist toll umgesetzt, die unterschiedlichen Völker spielen sich jeweils total anders und es gibt völlig irre Mechanismen, die im Laufe des Spiels immer mehr an Fahrt aufnehmen, wie der Macht-Kreislauf oder die Einkommen der Spieler.
Großartig gefällt mir auch, wie unterschiedlich sich das Spiel je nach Kombination der gewählten Völker spielt – da winkt noch einiges an Spaß am Horizont.
Wenn ich etwas zu bekritteln hätte, würde ich mir eine didaktisch etwas besser aufgemachte Anleitung wünschen, aber auch mit der kommt man mit etwas Erfahrung sehr gut zurecht. (Meinen Respekt an Andreas und Daniel, die das „Erarbeiten“ bei unserer ersten Partie sehr souverän erledigt haben, während ich an dem Tag etwas schwächelte.)
Ich will hier wirklich nicht lange rumfaseln. Das Spiel ist super. Wer auf Fantasy-Spiele und komplexe Worker Placement-Sachen steht, der muss hier einfach zugreifen. Seit Orléans habe ich an einem Spiel ohne Kampf-Modus nicht mehr so viel Spaß gehabt!
Bewertung
5 von 5 lila Machtchips