[Rezension] Deponia (FATE-Setting)

Der Uhrwerk-Verlag ist ja für den deutschsprachigen Markt die Anlaufstelle Nummer 1 in Schicksals-Fragen – und auch, wenn ich mit dem System nicht so recht warm werde, kommen immer wieder großartige Settings dafür heraus wie Malmsturm oder Eis und Dampf.
Das Cover – (Co) Uhrwerk Verlag
Produkt: Deponia
System: Fate
Autoren: Poki, Nico Mendrek, Mhaire Stritter
Verlag: Uhrwerk
Aufmachung: Hardcover, vollfarbig, 239 Seiten, große Farbkarte, Pappbögen mit Gegenständen
Erscheinungsjahr: 2015
Preis: 39,95€
ISBN: 978-3-95867-024-2
Gestaltung
Bunt, chaotisch, witzig und dennoch irgendwie übersichtlich ung gut strukturiert. Deponia verwendet Illustrationen aus den Computerspielen und hat deswegen schonmal eine für ein Rollenspiel sehr ungewöhnliche Optik, die mir aber ausgezeichnet gefällt. Der größte Teil des Buches ist wie ein (systemfreier) Reiseführer gestaltet, erst gegen Ende gibt es einen kurzen Regelteil, der sich auf Turbo-Fate bezieht, sowie eine eigene noch verkürztere Variante, „Trash-Fate“ einführt. Den Abschluss bildet ein kurzes Solo-Abenteuer sowie das Gruppenabenteuer „Die Kinder des Organon“. Ob ich die oben erwähnten Pappkarten jemals verwenden werde, ist ungewiss, aber umso sicherer steht fest, dass ich mir die total geile Weltkarte im Keller an die Wand ballern werde. Ich sehe gleich mal nach, ob ich nicht noch einen Rahmen in der passenden Größe übrig habe…
Inhalt
Grob ist das Buch in zwei Teile unterteilt – einmal einen Reiseführer durch dir Welt von Deponia, zum anderen einen Regelteil inklusive Monsterabteilung, Solo- und Gruppenabenteuer.
Im Laufe des Reiseführers werden wir über verschiedene Boxen stolpern, die zu Beginn des Buches kurz erklärt werden: Hinweiskästen, Infokästen, SL-Kästen, Geschichtskästen. Clevere Sache, die dem (gewollten) Chaos etwas Struktur verleiht. Der Reiseführer Noel erklärt uns auf den ersten ca. 50 Seiten die Basics zum Leben in Deponia und nimmt uns im Anschkuss mit auf einen Trip durch die gesamte Welt und ihre „sieben bis neun“ Kontinente: Aporimata, Dysropa, den Toxident, Haldika, Rostralien und Tsunamien, Metropol, Expol und Styropol mit. Kurz werden auch die beiden Trabanten Mond und Elysium gestreift.
Schon an den Namen der Kontinente erkennt man, dass hier alles „auf Müll gebürstet“ wird und mit Klischees gespielt wird, bis die Schwarte kracht. Bei jedem Lesen findet man neue Details, die einem ein glockenhelles Kichern entlocken. Beispielhaft soll hier der Abschnitt über die Barbaren dienen, wo ich auf nur 15 Zeilen zweimal so gickeln musste, dass mich meine Frau argwöhnisch beäugt hat. Ich zitiere: „Sie kleiden sich in wenige Lederfetzen und überfallen Siedlungen und Reisende in stachelbewehrten, aufgemotzten Fahrzeugen – weil sie es können, weil es Spaß macht und weil es ja irgendjemand machen muss.“ und noch „Einige leben auch ganz normal in Siedlungen am Rostroten Meer und gehen der Barbarei eher hobbymäßig am Wochenende nach, so ihre Ehepartner dies denn erlauben.“ Hihi!
Der gesamte Reiseführer ist ein totaler Parforceritt durch unsere menschliche Geschichte und menschliche Länder, auf grauenhafteste Art vermüllt und verdreht. Sowieso liets sich das Ganze einfach nur völlig unterhaltsam und ich habe keine Brüche entdecken können, welche Stellen vom großen Meister Poki stammen und was seine beiden fleißigen Schreibbienchen Nico und Mhaire beigetragen haben – ein gutes Zeichen. Die Texte sind so durchgeknallt, dass es kein bisschen zielführend ist, weitere Highlights herauszusuchen, da man auf jeder Seite etliche völlig wahnsinnige Müll-Ideen antrifft. Ich nenne euch einfach mal eine Handvoll Länder und Orte und ihr wisst sofort, wo der Hase hinläuft (äh, gibt es das Sprachbild überhaupt?!?): Müllgolei, Transvoltanien, Schrottland, Schrapnellküste, Kevin, Eitergelber Ozean, Kabelmeer, Keinkabelmeer…
Leute, die schon vertraut mit Fate sind, können einfach loslegen, oder sich dei Erweiterungsregeln auf Seite 200 ansehen, Neulinge bekommen ein auf 13 Seiten das komplette stark an Turbo-Fate angelehnte Regelwerk inklusive Charaktererschaffung, Konfliktregeln, Aspekten, Stunts und Charakterentwicklung. Anschließend gibt es 13 Beispielcharaktere, von denen mein absoluter Favorit Casius 200, der brutale Kampfroboter, ist.
Als weithin bekannter „Fan“ von FATE erfreuen mich natürlich die 3 Seiten, die „Fate Trash“ vorstellen – hier kann man das Spiel einzig und allein mit den mitgelieferten Item-Karten spielen, auf „Fate-Art“ geben die Gegenstände dann den klassischen Bonus von +2 auf einen passenden Wurf, es ist aber auch möglich, die Gegenstände in bester Adventure-Manier ganz ohne Probe erfolgreich einzusetzen. In diesem Fall geht es ganz einfach darum, besonders kreativ zu beschreiben, was man genau mit dem Gegenstand anstellt. Diese Art von Spiel funktioniert natürlich nicht in jeder Gruppe, aber wenn das Ziel im gemeinsamen Erzählen einer Geschichte besteht, sollte das ausgezeichnet klappen. Für das Klären strittiger Fälle ist hier ein brutaler Zungenbrecher vorgesehen, der möglichst gut vorgetragen werden muss. Äh, ja…!
Bevor es in die beiden Abenteuer geht, werden noch Gegenstände, Vehikel, „Monster“, Technologie, Waffen und Rüstungen kurz vorgestellt und mit Spielwerten versehen. „Aufblasbarer Vergnügungspark“ anyone?
Das Solo-Abenteuer „Der Weg nach Dunst“ sei eigentlich jedem ans Herz gelegt, denn in brutalen 13 Abschnitten erfährt man sehr viel über Witz und Stimmung des Deponia-Rollenspiels. 
Das Abenteuer „Die Kinder des Organon“ ist nicht nur ein kleines Abenteuer mit mehreren Szenen, sondern es erklärt nebenbei auch immer was es tut und warum es tut, sodass es als eine Art Blaupause für kurze Deponia-Abenteuer dienen kann. Natürlich haben wir es hier mit keinem Abenteuer zu tun, was das Glgnz-Seal-of-Approval erhält, denn dazu ist es viel zu straight und bietet wenig Handfestes. Ja, hier wird Handwedeln noch groß geschrieben und der Spieler ist bei all seinen Handlungen extrem auf das Wohlwollen des Spielleiters angewiesen. Geht man aber an das Spiel heran mit der Erwartung, ein schick vermülltes Point-and-Click-Adventure zu spielen, so dürfte das kein Problem darstellen.
Das ist gleichzeitig auch ein guter Zeitpunkt, um auf den Abenteuer-Generator hinzuweisen, der just Anfang März veröffentlicht wurde.
Fazit
Eines der ungewöhnlichsten Rollenspielbücher, das ich je in Händen gehalten habe – und zwar sowohl in Hinblick auf die Optik als auch den Inhalt. Durch die Computerspiel-Optik und die vielen bunten Illustrationen im Adventure-Comic-Stil sticht das Buch schon einmal deutlich heraus und auch der völlig durchgeknallte Reiseführer ist eine sehr interessante Art und Weise, ein Setting vorzustellen. Durch die unterschiedlichen Boxen wird dennoch alles gut strukturiert und übersichtlich. Ich hatte leider noch keine Gelegenheit, das Spiel zu spielen und bin mir nicht sicher, ob es mir als Spielleiter gelingen würde, den schrägen Humor des Buches an den Tisch zu transportieren (etwa so wie ich von Scheibenwelt-Spielrunden nie so ganz überzeugt war), aber schon bei der Lektüre war ich so gut amüsiert, dass der Gegenwert in Euro locker wieder „eingespielt“ wurde. Gerade im Spiel mit Trash-Fate könnte ich mir vorstellen, dass wir uns sehr nah am Spielgefühl eines Point-and-Click-Abenteuers bewegen dürften, was mich wirklich sehr neugierig macht.
Übrigens bin ich ein alter Fan der Lucasarts Adventures, habe aber noch keines der Deponia-Spiele gespielt, da ich einfach zu alt für sowas bin – ich muss aber sagen: „Jetzt bin ich echt neugierig!“
Bewertung
5 von 5 durchgeknallte Enttäuschungseier