[Rezension] SPACE 1889 – Der Merkur

Es kommt ja stetig neues Material für das viktorianísch-pulpige SPACE 1889 raus – der fette Merkur-Band ist schon vor etwa einem halben Jahr erschienen, aber ich habe so lange dran gelesen, dass ich jetzt erst zum Rezensieren komme.
Das Cover – (Co) Uhrwerk Verlag
Produkt: Der Merkur
System: SPACE 1889/ Ubiquity
Autor: Stefan Küppers (Chefredaktion)
Verlag: Uhrwerk
Aufmachung: gebunden
Erscheinungsjahr: 2015
Preis: 29,95 Euro
ISBN: 978-3-942012-56-0
Gestaltung
Ich bin ja ein Fan der sepia-pulpigen Gestaltung der deutschen SPACE-Produkte. Und wenn die Innen-Illus von Steffen Brand, Markus Holzum, Eric Lofgren und Rich Longmore gezeichnet werden, dann KANN das Teil gar nicht schlecht aussehen. Und obwohl 7 Autoren beteiligt sind, wirkt das ganze Buch wie aus einem Guss. Wirklich gelungen, das Ganze.
Inhalt
Das Buch besteht aus sechs Teilen und einem Index. Zuerst wird Der Merkur im Überblick dargestellt, dann folgerichtig Der Dämmerungsgürtel, Die Dunkle Seite und Die Heiße Seite. Anschließend gibt es ein Abenteuer von Dominik Hladek Die Reise um den Weltenfluss, bevor Anhänge mit Archetypen und Co. die Sache rund machen. Interessanterweise wirkt das Buch wie aus einem Guss, obwohl doch so der eine oder andere Autor Passagen dazu beitragen durfte.

So ist der Merkur als sonnennächster Planet, (der sich nicht in sich dreht, wie hier behauptet wird) natürlich brutal heiß – allerdings nur auf einer Seite, denn die der Sonne abgewandte Seite ist genauso unfassbar kalt wie die der Sonne zugewandte Seite heiß ist. Capisce? Diese Annahme setzt aber gleichermaßen, dass es einen „Dämmerungsgürtel“ gibt, der genau zwischen diesen beiden Zonen liegt, und in dem Leben möglich ist, ja es hat sich dort ein den Merkur umspannender Fluss mit einem darum herum liegenden Dschungel gebildet. Saucoole Idee.
Kolonialtechnisch herrschat auf dem Merkur eine ziemlich klare Situation: Die Briten erheben einfach nur aus Prestigegründen Anspruch auf den Merkur und sind mit einer starken Garnison vertreten. Die Deutschen verlegen sich eher auf die Forschung und versuchen eher im Geheimen, die Briten davon abzuhalten, sich alle Bodenschätze (vor allem die merkurischen Energiekristalle) unangefochten unter den Nagel zu reißen. Die Russen haben den Wettlauf um den Merkur zu Beginn verschlafen, sind nun aber – wenn schon nicht mit einem großen Heer – mit einigen wenigen Elitesoldaten und einer Nadelstich-Strategie auf dem kleinen Planeten vertreten. Alle anderen kann man erstmal vernachlässigen.

Den Dämmerungsgürtel kann man am ehesten mit einem klassischen Erdendschungel vergleichen, wobei nochmal nach den beiden Ufern unterschieden wird – logo, das Ufer der Hitzeseite weist andere Faktoren auf als das Ufer der Kälteseite.
Da ich ja auf einen übersichtlichen Aufbau stehe, begrüße ich es explizit, dass die drei Teile des Merkurs jeweils analog beschrieben werden, zuerst mit Hintergrundinfos, dann mit „Schätzen“, „Flora und Fauna“ und „Besonderen Orten“. Und da sind jeweils total abgefahrene Sachen dabei, das kann ich euch sagen. Ich bin beispielsweise ein großer Fan des „Linsengleiters“, der könnte glatt von mir sein.

Kältezone und Hitzezone stellen natürlich die Menschen jeweils von ihrer Seite vor das gleiche Problem – diese Regionen sind einfach lebensfeindlich und ohne „Hilfsmittel“ überlebt man nur Sekundenbruchteile, wobei clevererweise beide nochmal in Zonen eingeteilt sind mit unterschiedlichen Temperaturbereichen und Story-Ansätzen.
Und was ganz wichtig ist: Beide Zonen sind nicht nur clever für das Spiel aufbereitet, sondern lesen sich auch noch ganz ausgezeichnet. Da hat das Team echt ein gutes Händchen bewiesen. Besonders gut gefallen mir auch die Andeutungen, dass es auf beiden Halbkugeln noch unterirdische Regionen gibt, wo man sich bewegen kann – die würde ich nur allzu gerne mit Leben füllen.


Als jemand, der den Einfluss von Abenteuern auf ein System und ein Setting extrem hoch bewertet, muss ich mir natürlich Dominik Hladeks Merkur-Variante der Phileasson-Saga genauer ansehen und den Seifenkistenlesern erzählen, ob das Teil etwas taugt…
Okay, sehr gut ist erst einmal, dass man als Spielergruppe entscheiden kann, für welche Seite man antreten möchte – hier hat man die Wahl zwischen dem preußischen Generalmajor AD, Walther Friedrich von Bornsdorff und dem britischen Gentleman Cyril Montgomery Fitzgerald. Wer Asleif Phileasson und wer Beorn der Blender ist, dürft ihr selber entscheiden. Die Einführung ist sehr liebevoll gestaltet und findet im Travellers‘ Club statt. Hier gilt es nun die Seite zu wählen und sich mit den Statuten des Wettbewerbs vertraut zu machen. Beide Expeditionsteams haben gewisse Ressourcen zur Verfügung, die es zu Beginn gilt, so sinnvoll wie möglich zu verwenden.
Jetzt wollt ihr sicher, dass ich das Wort „Railroading“ erwähne, oder? Das kann ich auch gerne tun, denn eine Reise entlang eines Flusses verläuft zwangsläufig in einem bestimmten Rahmen. Ansonsten genießen die Spieler wirklich einige Freiheiten, auch wenn bestimmte Dinge bestimmte Ereignisse recht willkürlich auslösen. Und was noch wichtiger ist. Das Rennen wird nicht gehandwedelt, sondern man kann in drei Schritten jeweils regeltechnisch festgeklopft den Fortschritt der Wettfahrt feststellen UND es gibt Zufallsbegegnungen. Da kann ich nur sagen: „Rock’n’Roll!!!“
Nun kann es auf fünf unterschiedlichen Etappen plue einigen Nebensträngen einmal um den Merkur herum gehen und seid versichert – es ist immer etwas los! Ob die Truppe sich im Inneren eines Riesenammoniten nach einem Glimmkristall sucht, versucht, Jotunwurmeier zu stibitzen, oder einen durchgeknallten russischen (sorry, kasachischen) Wissenschaftler davon abhält, den kompletten Merkur aus der Bahn zu werfen – Langeweile kann nicht aufkommen.
Vor allem hat sich in Hinblick auf die Abenteuerstruktur seit besagter DSA-Kampagne getan und so wird hier immer dafür gesorgt, dass übersichtlich in Kästen geschildert wird, was die jeweils andere Expedition gerade tut, sodass ein fairer Wettkampf (größtenteils) gegeben ist.

Abschließend findet man dann noch im Anhang mit dem Pseudowissenschaftler, dem Automobilexperten, dem Prospektor, dem Gesellschafts-Söldner und dem Dampftechnik-Ingenieur fünf komplett neue und direkt spielbare Archetypen sowie etliche Artefakte und Ausrüstungsgegenstände wie den Zinnmoloch, der einerseits eine Möglichkeit darstellt, die heiße Seite zu besuchen und andererseits einen der wenigen Produktionsfehler beinhaltet, denn die komplette Beschriftung der Zeichnung wurde leider nicht übersetzt.
Mein heimlicher Lieblingsteil sind die abschließenden Mysterien des Merkur, denn hier werden einige Dinge angerissen, die man sich schon bei der Lektüre der einzelnen Orte gefragt hat: „Was hat es mit dem Mt. Edison auf sich?“ oder „Was ist mit den Eiskrabben los?“ Total klasse und viel kürzer und inspirierender geschrieben, als die klassischen DSA-Sternchen-Mysterien.

Fazit
Der wohl abgefahrenste Ort, an dem man bisher SPACE-Abenteuer spielen kann – hat vom „Look & Feel“ her etwas von der „Bruder-Reihe“ Hollow Earth Expedition, ist aber dann noch einen Tacken überdrehter, wenn auch nie übertrieben. Für mich die bisher beste Veröffentlichung für SPACE – und die bisher auf Deutsch erschienenen Sachen waren alle nicht übel, vielleicht gerade, weil leichte Jules Verne-Nachgeschmack hier besonders deutlich zu Tage tritt!

Auf besonderen Wunsch möchte ich noch den Satz anfügen: Das, was für die Illustrationen gilt, behält natürlich auch für den Text Gültigkeit. „Wenn die Texte von solchen Autoren wie Beckert, Hladek, John, Junge, Küppers, Lindner und Maciuszek geschrieben werden, kann das Teil sich gar nicht schlecht lesen.“ Okay, einigen von denen kann ich gar keine Werke zuordnen, aber mit Dominik, Martin, Uli und Stefan sind doch ein paar Jungs dabei, die durchaus schon gutes Rollenspielmaterial veröffentlicht haben.

Bewertung
4,5 von 5 merkurische Mysterien (ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich nicht die „5“ zücke – vielleicht hätte ich gerne noch mehr coole Illustrationen, aber das ist wohl wieder eine finanzielle Frage…

[RPG-Blog-O-Quest] #002 – Fanmaterial

Greifenklaue und Würfelheld haben gestern die zweite Queste losgejagt und wer wäre ich, dass ich ihnen die Antworten verweigern könnte…
Okay, schauen wir mal, welche 5 Fragen die beiden dieses Mal stellen:
1. Meine erste Quelle für von Fans generiertes Material ist … äh, im Jahr 2015 kann das doch nur das Internet sein. Ich mag ja vor allem Blogs und Wikis.
2. Hast Du schon Fanmaterial erstellt? Wenn man es ganz streng nimmt, ist mein ganzer Kram, den ich immer mal wieder für Labyrinth Lord rausgehauen habe, Fanmaterial, oder nicht? Also ja – jede Menge. Und um ehrlich zu sein, bei solch kleinen Systemen ist die Grenze zwischen „Fanmaterial“ und „offiziellem Material“ bestenfalls fließend. Für die Anduin habe ich auch ein paar Mal etwas gebastelt und ein Abenteuer für den SpielXpress, der zu dem Zeitpunkt auch schon mehr Fanzine als „großes Blatt“ war.
3. Fanzines sind das Thema des RSP-Blog-Karnevals im November. Welches ist (war) Dein liebstes? Na, die Antwort fällt mir selbstverständlich total leicht! Das kann nur die Greifenklaue sein – The Zine with the Schiene! Wird Zeit, dass Ingodubingo das gute Stück wiederbelebt!
4. Wünschen würde ich mir Fanmaterial zu Labyrinth Lord, weil der grandiose Retro-Klon wieder viel mehr Liebe verdient hat. Leider muss ich mir da an die eigene Nase fassen. Vielleicht wäre ein cooler Wettbewerb eine Maßnahme. Der letzte ist ja schon etwas her…
5. Zuletzt hab ich den 0-Level Party & Tourney Generator für DCC genutzt und das war grandios, da man sofort mit einem schicken Funnel-Abenteuer loslegen kann und dafür sorgen, dass ganze Horden von Bauerntölpeln sich nun die Radieschen von unten betrachten.

[Rezension] Das UPgrade 2 – Pioniernachmittag in Tenochtitlan (Comic)

Ich habe ja soeben das Interview mit Dimitrios online gestellt – und eben jener hat mir etwas ganz, ganz Merkwürdiges ins Haus geschickt. Das UPgrade – Band 2. Das ist einer der brandaktuellen Comics aus dem Hause Cross Cult und ich bin ja sowohl tolerant als auch sehr leidensfähig. Sehen wir uns das gute Stück also mal an…
Das Cover – (Co) Cross Cult
Produkt: Pioniernachmittag in Tenochtitlan
Autoren: Graupner / Wüstefeld
Verlag: Cross Cult
Aufmachung: gebunden, vollfarbig, 64 Seiten
Erscheinungsjahr: Oktober 2015
Preis: 20 Euro
ISBN: 978-3-86425-669-1
Sorry, aber der Comic sprengt meine üblichen Kategorien, ich muss improvisieren:
Beschreibung und der Versuch eines Fazits
Alter, ist die Chose hier durchgeknallt. Ich habe ganz ehrlich keine Ahnung, wie ich das am besten beschreibe. Versuchen wir es doch einfach mal mit einer Art Kochrezept:

Man nehme:
– 1 Messerspitze Paul Auster
– 2 abgekaute Fingernägel von Rolf Kauka
– je 1 gebrauchte Socke von Wendy und Richard Pini
– 3 mit dem Mörser zerstoßene Haare von der Stirn von Erich Honecker
– 100 ml einer Urinprobe von Lance Armstrong
– 15 von Heinrich Schliemann erlernte Sprachen
– die letzten 3 Seiten eines Säggssch-Wörterbuchs
Okay, das alles jetzt verquirlen und etwa 1 Stunde lang auf kleiner Flamm köcheln lassen.
Sprich eine völlig wahnsinnige Geschichte in mindestens ebenso wahnsinnigen Bildern führt Ronny Knäusel zurück in seine früheste Kindheit, wo es ihm einfach gelingen MUSS, in das Pionierleiterzimmer zu gelangen, bevor es sich selbst zerstört, um Fürchterliches zu verhindern. Hört sich logisch an, ist es auch (im gewissen Rahmen). 
Neben der völlig postmodernen Erzählweise sind es ganz sicher die zahlreichen DDR-Anspielungen, die den Comid zu einem ganz „besonderen Erlebnis“ machen. Ich habe ihn zumindest schon dreimal gelesen und a) verstehe ich ihn immer noch nicht besser als beim ersten Mal und b)entdecke ich immer wieder neue Details und neue Gags. Ich gebe mir mal noch zwei weitere Durchgänge, um komplett durchzublicken (wobei ich es nicht bestreiten würde, dass es helfen könnte, den ersten Teil zu kennen – was bei mir nicht der Fall ist).
Daumen rauf für eine wirklich mutige Veröffentlichung.
Bewertung
4 von 5 transolzierte Azteken

[Sonntags-Interview] Dimitrios Charistes (Cross Cult)

Es ist mal wieder Zeit für ein neues und regelmäßiges Feature auf der Seifenkiste. Ich habe mir vorgenommen immer mal wieder Leute aus dem „Biz“ sowie Alrik-Normalrollenspieler zu befragen und immer wieder sonntags zu virtuellem Papier zu bringen. Den Anfang macht ein junger Mann, auf den ich aufmerksam geworden bin, weil ich als stinknormaler Blogger noch nie solch eine professionelle Zusammenarbeit mit einem Verlag erlebt habe. So erhält man bei Cross Cult immer eine freundliche und informative Mail, wenn ein neues Produkt erscheint mit dem Hinweis, dass man es sich ab jetzt zu Rezensionszwecken bestellen kann – und bumms, ein paar Tage später ist es mit zusätzlichem Presse-Material im Briefkasten. Dass die Mail auch schon verwendbare Grafiken und Info-PDFs enthält, ist natürlich selbstredend! 😉
Ich habe mir mal denjenigen geschnappt, der sich um diese reibungslosen Abläufe verdient macht – Dimitrios Charistes.
1. Hi, Dimitrios, auf meinem Blog präsentiere ich ja manchmal Interviews mit „Leuten hinter den Kulissen“. Wer würde diesem Prädikat eher gerecht werden, als jemand, der sich bei einem Verlag um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Stell dich doch mal bitte kurz vor.

Hu hu, da draußen. Ich bin Dimitrios, 27, kulturbesessen und wohl ewig wissensdurstig.  Seit Anfang 2015 bin ich für den Ludwigsburger Comic & Romanverlag für die Presse- & Öffentlichkeitsarbeit und für Marketingkooperationen zuständig.
Ich komme aus dem beschaulichen Aschaffenburg in Unterfranken und habe nach abgeschlossenem Redaktions-Volontariat bei einem lokalen Verlag und diversen Stationen im Journalismus schließlich noch Medienkommunikation & Journalismus in Köln studiert.
Nebenbei arbeite ich noch als Kulturjournalist für diverse Musik-, Film- und Kulturmagazine, wie z. B. Deadline, Virus, FRIZZ, SLAM, BLACK etc. Außerdem schreibe ich auch für diverse Zeitungen und Online-Zines, dort in letzter Zeit verstärkt auch im gesellschaftspolitischen Spektrum.

2. Ich schreibe ja für die Produkte der unterschiedlichsten Verlage Rezensionen, aber ich habe es noch an keiner Stelle erlebt, dass das so professionell aufgezogen wird, wie bei Cross-Cult. Beschreibe doch mal bitte, was du an einem durchschnittlichen Arbeitstag so tust.

Wow, das ist natürlich ein tolles Kompliment und freut mich zu hören – da hab ich mir die warme Dusche und das Eiebrot heute Abend endlich verdient. Einen „durchschnittlichen“ Arbeitsalltag bei Cross Cult gibt es eigentlich nicht. Da wir ein kleines Team von nur vier festangestellten Mitarbeitern sind (dutzende Freie kommen noch dazu), komme ich eigentlich nie dazu, das zu tun, was ich mir am Tag darauf wirklich vornehme. 🙂
Im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit plane ich natürlich mit deutschsprachigen Medien in aller Form Promotion-Kampagnen und Gewinnspiele, koordiniere Interviewanfragen für unsere Künstler, schreibe Pressetexte, organisiere Presse-Mailings und halte den Kontakt zu unseren Key-Persons und direkten Ansprechpartnern im Comic-Journalismus. Natürlich fallen aber auch tägliche Aufgaben wie z. B. Homepage- und Social Media-Pflege oder Rezensionsmaterial verschicken an. Im Team schreiben wir auch für das Portal comic.de (einer Gemeinschaftskooperation von Splitter, Tokyopop/Popcom und Cross Cult), verfasse Texte und Produktbeschreibungen für Kataloge, Flyer, PR-Redaktionen und, und, und. Dazu kommen noch unsere Cross Cult-Veranstaltungen, wie der Besuch von Conventions, Messen, Lesungen oder Signier-Touren. Einen langweiligen Tag hatte ich bisher tatsächlich noch nicht.

3. … und an einem ungewöhnlichen.

Ungewöhnlich ist hier eigentlich jeder Tag. Ich komme morgens in den Verlag und weiß selten, was auf mich zukommt. Wenn eine interessante Mail von einer Promo- oder PR-Agentur im Postfach zu finden ist, oder eine kreative Attacke vom Chef, hat das natürlich oft Prioritä. Dann verschiebt sich alles Weitere.  Ich versuche natürlich trotzdem jede einzelne eingegange Mail von Bloggern, Redaktionen oder Fans zu beantworten. Wobei ich gerade den kreativen Prozess meines Jobs bevorzuge, wenn wir also tatsächlich die Möglichkeit bekommen, eine größere Kampagne für einen Comic-Titel zu fahren.

4. Per Mail wolltest du mir nicht verraten, wie es dir gelungen ist, den Bond-Roman Trigger Mortis in einem Artikel der TV Spielfilm unterzubekommen – wie sieht es hier im Interview aus?

Hochfrequentierte Medien mit einer hohen Leserschaft sind natürlich das Ziel für alle PR-Menschen. Darunter gehört natürlich auch die TV-Spielfilm. Ausgezeichnete Kontakte und aktives Networking sind hier das Alpha und das Omega. Wenn eine Redaktion allerdings ganz von sich auf uns zukommt und über einen Titel berichten möchte, dann nimmt mir das nicht nur viel Arbeit ab, sondern zeugt von der Qualität unseres Verlagsprogramms.

5. Kannst du mir grobe Zahlen verraten, wie viele Zeitschriften, Journalisten und Blogger du in deinem Verteiler hast?

Puh, ich denke nicht, dass die Zahl hier ausschlaggebend ist. Es gibt Agenturen, die mit opulenten Presse-Verteilern arbeiten und auf ihre Mailings dann doch kaum Ressonanz bekommen. Dabei ist es eher die Kunst mit den wichtigsten Redakteuren in regem Kontakt und Austausch zu stehen.
Eine goldene Regel in der PR lautet: Pflege den Kontakt zu 15-20 key-persons, die ihre Materie wirklich leben/lieben – das führt eher zum Erfolg, als eine unübersichtliche Zahl von einmaligen gesichtslosen Kontakten.

6. Da ich weiß, dass einige andere Blogger hier mitlesen, eine ganz wichtige Frage: Was qualifiziert ein Medium in deinen Augen dazu, mal Dinge für Cross Cult besprechen zu dürfen?

Unsere Spielregeln sind für jedermann auf unserer Presse-Seite einsehbar (http://www.cross-cult.de/presse.html). Für uns zählt die Leidenschaft, die jemand in seine private Arbeit bzw. seinen Blog steckt. Ein sehr gutes Beispiel ist hier z. B. der erst in diesem Jahr gestartete Comic-Blog deinantiheld.de oder das Team Nerdzig aus Leipzig mit ihren YouTube-Videos und dem dazugehörigen Webportal nerdzig.de
Dabei ist die Reichweite nicht zwingend entscheidend, und auch ewige Lobpreisungen auf einen Titel, nur um diesen kostenlos abzustauben, sind nicht unser Ding. Wir freuen uns immer über konstruktive Kritik und Feebback an unserer Arbeit und Neuerscheinungen, da darf es durchaus auch mal einen Veriss oder Kritik geben. Oft lesen sich die Rezensionen allerdings meist gleich und sind eine Mischung aus dem offiziellen Pressetext und zwei, drei eigenen Formulierungen. Bevorzugt behandelt werden diejenigen, die uns regelmäßig ihre Belege senden und auch eine gewisse Qualität in ihrer Schreibe und Berichterstattung garantieren. Bei ganz neuen Blogs prüfen wir natürlich vorab schon die jeweilige Reichweite. Und unverschämte Anfragen wie „Schickt mir eure Novitäten von September bis Oktober“ ohne Anrede oder weiteren Informationen auch mal ignoriert.

7. Gibt es ein Produkt oder eine Reihe aus eurem Portfolio, das oder die dir besonders am Herzen liegt?

Im Team, vom Verlagschef bis zur Lektorin und allen freien Mitarbeitern, sind wir alle von ganzem Herzen Fans des Mediums. Natürlich sind wir alle große THE WALKING DEAD-Fans und freuen uns diese Serie im Verlagsprogramm zu haben. Aber auch unsere PEANUTS-Reihe sind everybodys darling.
Mir persönlich liegen die eher unbekannteren Titel am Herzen, die in Deutschland oft noch Geheimtipp-Status besitzen. Da gehört die stimmungsvolle Horror-Mystery-Serie REVIVAL von Tim Seeley dazu, die mit einer deratigen Komplexität in den Charakteren daherkommt, dass ich durchaus mal eine Woche für die Lektüre eines Bands brauche. Oder die italienische WAISEN-Serie, innovative Science-Fiction mit gebrochenen Charakteren und einer toll durchdachten Storyline. Als Fan mit dem Hang zum Düsteren sind es aber vor allem unsere Horror-Serien, die ich bedingungslos weiterempfehlen kann: OUTCAST – die neue Mystery-Serie von TWD-Schöpfer Robert Kirkman, die fast schon politische Vampirserie V-WARS, die auch nicht an Gesellschaftskritik spart, oder aber natürlich alles von Mastermind Mike Mignola (BALTIMORE, FRANKENSTEIN UNDERGROUND, HELLBOY).

8. Hast du im Zuge deines aktuellen Jobs schon einmal etwas wirklich Verrücktes erlebt?

Ha, ha , glaub mir, in der Comic-Branche zu arbeiten ist schon verrückt genug. Da muss nicht zwingend verrücktes passieren.
Jeden Tag aufs Neue mit schrulligen Charakteren, verrückten Fans, verschrobenen aber genialen Künstlern und Autoren und Insidern zu arbeiten ist schon interessant genug und beflügelt den kreativen Alltag ungemein. Verrückt sind oftmals eher die Begegnungen auf Conventions und Messen mit all den eingefleischten Fans und ihrem ultimativen Nerd-Wissen. Ich finde es beeindruckend, mit welch oft bedingungsloser Hingabe viele Menschen ihrem Hobby Comic nachgehen. Ich komme ja ursprünglich aus der Musik- und dem Film-Biz – dieses ultimative Abnerden war anfangs eine Umstellung, jetzt aber höchstamüsant.

9. Damit etwas zusätzlicher Bezug zur Seifenkiste hergestellt wird: Spielst du selber Rollenspiele oder Brettspiele oder bist sonstwie irgendwie ansatzweise nerdig? (Nein, es gilt nicht, wenn du schon einmal eine Folge der Big Bang Theory gesehen hast.)

Ha, ha. Jetzt hast du mich auf dem kalten Fuß erwischt. LARP finde ich interessant, bin aber selbst nicht involviert. Hingegen finde ich die Welt der Brettspiele ungemein spannend, wenn auch einfach kaum Zeit dafür bleibt, neben Literatur/Comic, Musik und Film sich noch ein weiteres Hobby draufzuhauen.
Aktuell kooperieren wir aber mit dem Heidelberger-Spieleverlag, der mit der THE WALKING DEAD-Edition des genialen Kartenspiels BANG genau meinen Geschmack getroffen hat. Ich bin mir sicher, hier wird es im Freundeskreis zu einigen Duellen kommen 🙂
Alle Comic-Fans von STEAM NOIR dürfen übrigens gerne auch mal einen Blick in die Spielewelten von Künstler Felix Mertikat werfen, der neben einem Brett- auch ein Kartenspiel zu seiner fantasiereichen Steampunk-Welt kreiert hat.

10. Ist jemals zuvor irgendeiner deiner Kontakte auf die Idee gekommen, ein Interview mit dir zu führen?

Interviewanfragen gibt es durchaus einige, oft auch für Comic-Radiosendungen oder YouTube-Channels. Meist bleibt hier – während der Arbeitszeit kaum zeit dafür. Ich verweise hier aber gerne an Verlagsleiter Andreas Mergenthaler, er ist der ewige Chef-Nerd im Haus und in Sachen Comicfachwissen und Geek-Kompetenz ungeschlagen der bessere Gesprächspartner. 🙂

Vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit genommen hast, meine Fragen zu beantworten und viel Glück mit all euren zukünftigen Produkten.

EDIT: Einen verteufelt witzigen Fehler rausgehauen!