[Sonntags-Interview] Thomas Markwart (Übersetzer und Forenbetreiber)

Ich versuche ja die unterschiedlichsten Bereiche des Rollenspiels mit meinen Interviews abzuklappern – heute habe ich mir mit Thomas Markwart einen (äußerst wortgewaltigen) Betreiber des Nerdvana-Forums zur Brust genommen:
1. Thomas – schildere doch mal bitte kurz deinen Weg ins Rollenspiel.
Es war 1989, als ein Schulfreund mit dem DSA Ausbauspiel (1.Edition) (hieß die Box so?) in die Schule kam und anfing von Rollenspiel zu erzählen. Ehrlich gesagt habe ich mehrere Schulstunden gebracuht, um zu verstehen, dass man wirklich kein Spielbrett für dieses seltsame Ding brauchte. Er hatte auch die neue Helden Box, mit welcher wir kurz darauf unsere ersten Charaktere bastelten und mit „Die Sieben magischen Kelche“ begann dann meine Laufbahn.
… es war übrigens der 06.12.
2. Blieb es lange bei DSA?
Die nächsten 5 Jahre habe ich sehr intensiv DSA gespielt, auch wenn es immer wieder Abstecher zu Systemen wie Shadowrun, Paranoia, Cthulhu, Pendragon und einigen mehr gegeben hat. Die DSA Zeit hörte erst mit Erscheinen der 4. Edition so richtig auf

3. Was sind denn augenblicklich deine Favoriten?
D&D 5 ist ganz groß und zwischendurch gibt es immer mal wieder was mit Savage Worlds. Dieser Tage vertiefe ich mich allerdings völlig begeistert in Night’s Black Agents. Ansonsten lese ich alle möglichen anderen Systeme, auch wenn die Zeit zum Spielen nicht ausreicht.
4. Jetzt befrage ich dich ja nicht nur als „normalen Rollenspieler“. Erzähl doch mal bitte etwas zu deinen Beziehungen zur „Rollenspiel-Industrie“ und wie sie entstanden sind.
Ich habe Beziehungen? Cool. Abgesehen davon, dass einer meiner früheren Mitspieler sehr aktiv in der DSA Redaktion gewesen ist, entstanden meine Beziehungen erst durch kleinere Übersetzungsaufträge für den Uhrwerk-Verlag. Da bin ich eher durch Zufall reingerutscht, da ein Freund am Venus Band mitgearbeitet hat und alte Abenteuer auf die neuen Regeln umschrieb. Man suchte einen Übersetzer und ich habe mich als großen Space 1889 Eperten verkauft, der ich eigentlich gar nicht bin. Aus völliger Verzwieflung engagierte man mich danach noch für ein paar weitere Übersetzungen, zuletzt war ich beim grandiosen 13th Age dabei, bis ich meinem Lieblingsverlag leider mitteilen musste, dass ich neben all den anderen Verpflichtungen keine Zeit mehr für weitere Übersetzungen habe. Eigentlich bemühe ich mich mehr um die Rollenspiel-Community, als die Rollenspielindustrie.
5. Besser hätte ich die Überleitung auch nicht hinbekommen – Stichwort: Rollenspiel-Community…
Ich bin ja Profi. Den in Kennerkriesen bekannten, oder berüchtigten, Nerdpol habe ich in der Anfangszeit aktiv mitgestaltet und habe so das Medium Youtube kennengelernt. Der Nerdpol war sicherlich der Beginn meiner Bemühungen nicht nur meine Vorstellungen von Rollenspiel in die Welt zu tragen, sondern auch zu versuchen, Gleichgesinnte im deutschsprachigen Raum kennenzulernen. Daraus sind Freundschaften entstanden und mein eigenes Spiel hat sich durch den Kontakt zu neuen Mitspielern eindeutig verbessert. Zudem hat es meine Augen für die Community geöffnet. Auch wenn ich mir bei manchen Diskussionen an den Kopf fasse und ihn langsam gegen die Wand schlage, bin ich sehr glücklich, dass mich der gute Avon aus meiner Isolation gerissen und mir vom Nerdpol erzählt hat. Vor etwas mehr als einem Jahr wurden dann die Differenzen mit einigen Admins des Nerdpols zu groß und wir haben ein eigenes Forum aufgemacht, das Nerdvana, welches zwar weiterhin klein ist, aber dafür kennt man sich und niemand fühlt sich bei unserem zeitweise sehr derben Humor auf den Schlipps getreten. Mein Um meinen Youtube Kanal ist es in den letzten Monaten leider sehr ruhig geworden. Dies liegt auf der einen Seite daran, dass die meisten meiner Mitspieler lieber Off Air spielen, blöde Memmen, auf der anderen Seite bin ich aber auch beruflich und familiär sehr stark eingespannt. Hinzu kommt, dass mein Partner in Crime, das Goldene Kamel, ständig Internet Probleme hat oder umzieht. Einmal mit Profis. Apropos Profis. Mit einem gewissen Moritz Mehlem hatte ich mal versucht, eine Video Reie zum Einstieg ins Rollenspiel zu machen, welche aber aus mit vollkommen unbekannten Gründen über eine Folge nicht herausgekommen ist.
6. Stimmt. Das könnten wir mal wieder an den Start bringen. Warum findest du Foren wie Nerdpol oder Nerdvana so wichtig?
Foren, oder auch Facebook-Gruppen wie P&P Rollenspiel, dienen dem Austausch und der Vernetzung. Trotz aller Bemühungen, zum Beispiel durch den Gratis Rollenspieltag, betreiben wir immer noch ein Nieschenhobby. Die Spielersuche, oder auch nur das Reden über das Hobby, ist also besonders in Kleinstädten oder ländlichen Gegenden sehr schwierig. Ich hatte einfach Glück, dass einer meiner Mitschüler eine DSA Box geschenkt bekommen hatte. Die Frage ist, wieviele potentielle Rollenspieler da draußen genau dieses Glück nicht hatten? Wenn man nicht in einer Großstadt wohnt und zufällig über einen Rollenspielladen stolpert, stehen die Chancen ziemlich schlecht. Foren bieten uns die Möglichkeit Konatkte herzustellen, Fragen zu stellen und einfach über unser Hobby zu diskutieren. Natürlich möchte man manchen Leuten zwischendurch den Kopf abreißen, wenn sie mal wieder völligen Blödsinn verbreiten, aber so ist das eben in einer großen Familie. Meine Schwester finde ich manchmal auch doof. Durch Foren habe ich mir mttlerweile sehr wichtige Menschen getroffen, die ich sonst nie kennengelernt hätte. Außerdem komme ich in den letzten Jahren viel häufiger zum Spielen, da sich durch die Kombination von Google Hangout und Foren ein sehr viel größerer Mitspielerpool eröffnet. Zudem muss man das Wohnzimmer nicht aufräumen und kann in Unterhose spielen.
7. „Unterhose“ ist ein gutes Thema. Nee, Quatsch! Was, denkst du, ist das größte Problem, das dem grenzenlosen Wachstum des Rollenspiels im Weg steht?
Die spontane Antwort meiner Frau: „Dummheit!“ Natürlich ist es eine Kombination verschiedenster Faktoren. Wir haben das Erzählen von Geschichten verlernt. Ebenso bieten Computerspiele und Fernsehen viel schnellere, unkompliziertere Befriedigung. Die meisten Menschen verstehen nicht, dass diese Befriedigung zwar schneller, aber auch flacher ist. Rollenspiel ist ein äußerst soziales Hobby, man muss sich also irgendwie, und sei es nur online, mit Menschen treffen und mit ihnen interagieren. Das muss man für Brettspiele zwar auch, aber diese sind nicht so textlastig und verlangen zudem nicht eine so starke Verpflichtung der Gruppe gegenüber. Sieht man von Spielen wie Pandemic Legacy ab, kann man Brettspiele jeden Abend mit einer anderen Gruppe spielen. Rollenspiele verlangen von allen Beteiligten mehr Vorbereitung und langfristigeres Engagement. Ein großes Problem sehe ich auch darin, dass Rollenspiel von vielen Menschen belächelt wird. Viele finden es peinlich eine Rolle zu spielen. Wenn man dann noch von Elfen und Drachen erzählt, ist man direkt abgestempelt. Ein Nerd zu sein ist zwar in den letzten Jahren gesellschaftsfähiger geworden, aber besonders in Deutschland sind die meisten Menschen anscheinend einfach zu verklemmt. Da fällt mir ein, dass es auch etwas mit den verbreiteten Regelsystemen zu tun hat. Ein rudimentär Interessierter stolpert über einen Rollenspielladen und fragt, womit er beginnen soll. Wahrscheinlich wird ihm direkt DSA empfohlen, mit etwas Glück die sehr gute Splittermond Einsteigerbox. Das ist abschreckend. Warum nicht Sachen wie Fiasko mehr pushen? Das ist zugänglicher und holt den Durchschnittsbürger besser ab, wie ich finde.
8. Warum sollte sich jeder im Nerdvana-Forum anmelden?
Bei Jabbas fettem Arsch, bist du völlig wahnsinnig? Wir wollen gar nicht, dass sich jeder anmeldet. Wir haben einen schrägen Humor, hauen uns Beleidigungen an den Kopf und pfeifen darauf, ob mal eine Diskussion off-Topic ist. Unsere tiefgreifenden Diskussionen zu allen Themen rund um das Rollenspiel gab es schon einmal in anderen Foren, wir erfinden das Rad also nicht neu und wollen das auch gar nicht. Was uns einzigartig macht ist, dass es bei uns gemütlich ist. Damit meine ich nicht, dass wir uns alle ständig gegenseitig den Bauch kraulen, oder es keine kontroversen Diskussionen gibt. Ich meine damit, dass wir uns vertrauen und genau deshalb so locker und offen sein können. Wer bereit ist, den anderen Usern einen Vertrauensvorschuss zu geben und nicht direkt beleidigt ist, wenn der Ton mal etwas rauher wird, ist uns aber herzlich willkommen. Neulinge, die nicht direkt 500 unterschiedliche Meinungen zum besten Einsteigersystem wollen, oder alte Hasen, die nicht bei jeder kleinen Frage eine Grundsatzdiskussion auslösen wollen, werden mit einer Anmeldung bei uns nichts falsch machen.
9. Strukturell gedacht: Hast du Ideen, wie die deutschen Rollenspieler besser vernetzt werden könnten?
Facebook bietet eine sehr gute Möglichkeit. Wir haben zwar wahrscheinlich alle mindestens ein Forum, in dem wir uns wohl fühlen, aber dadurch sind wir trotzdem noch sehr verteilt. Einen Facebook Account hat beinahe Jeder, also sollte genau da auch unser Schnittpunkt liegen. Die Gruppe P&P Rollenspiel hat immerhin 3162 Mitglieder. Zugegeben, da wird meistens auch nichts besprochen, was man nicht aus seinem Hausforum kennt, aber man erreicht potentiell sehr viele Rollenspieler. Dort sind die großen und kleinen Foren vertreten, was ich wunderbar finde. Was mir in Deutschland fehlt sind die Rollenspiel Vereine. Natürlich gibt es einige davon, aber auf das Bundesgebiet bezogen, sind es doch ziemlich wenige. Angeblich ist der durchschnittliche Bewohner Deutschlands ein Vereinstier. Wirft man aber zum Beispiel einen Blick auf die Anzahl der Wargaming Clubs in England, findet man einen in jedem Dorf. Kontaktiert nicht nur die Rollenspieler, sondern auch alle Wargamer und Brettspieler in eurer Gegend und gründet einen Verein.

10. Nun darfst du dem deutschsprachigen Rollenspielvolk mal so richtig die Message vor den Latz knallen…
Ich zitiere einfach mal Carl Sagan: „We are all made of starstuff.“ Bleibt locker und seid lieb zueinander. Rollenspiel liegt uns allen am Herzen, entsprechend hitzig können Diskussionen werden, also tretet zwischendurch einen Schritt zurück und denkt an den leider viel zu früh verstorbenen Carl. Abschließend möchte ich noch einmal auf die Rekrutierung von Neulingen eingehen. Wenn sich eine zarte Pflanze durch den Asphalt kämpft, zertrampelt sie verdammt nochmal nicht, indem ihr sie mit Anekdoten über 20 Jahre Rollenspiel zublubbert, auf die Feinheiten eures Lieblinssystems eingeht oder euch bei der Frage nach einem guten Einsteigersystem mit den anderen Besserwissern die Köpfe einschlagt. Wenn ich genau darüber nachdenke, könnte dieses Verhalten sogar das größte Hindernis für die Verbreitung des Hobbys darstellen…