[Rezension] Road to Essen – Tag 1 – Broom Service

Ich werde mal ein paar thematische Brett- und Kartenspielbesprechungen rausballern und zwar als kleinen Countdown für die Brettspiel-Messe in Essen. Es gibt also nun bis zum nächsten Sonntag jeden Tag ein Spiel, zumeist sogar mit Fantasy- oder Rollenspielbezug, damit die Seifenkistenleser nicht komplett im luftleeren Raum schweben. Wenn ihr also nach Essen fahrt, erhaltet ihr hier ein paar Tipps, was ihr euren gewaltigen Tragetaschen hinzufügen könntet.
Wenn ihr so wollt, ist meine gestrige Pairs-Besprechung eine Art „Tag 0“, denn da habt ihr ein kleines, leicht zu transportierendes piratiges Spiel, das auf der SPIEL druckfrisch erscheint und das euch nicht an den Bettelstab bringt…


Ich starte meinen kleinen Countdown zum Messe-Sonntag mal direkt mit einem richtigen Knaller, dem Kennerspiel des Jahres 2015 „Broom Service“.

Das Cover – (Co) Ravensburger

Name: Broom Service
Verlag: Ravensburger / Alea
Autoren: Andreas Pelikan & Alexander Pfister
Preis: 37,95€ (aber ich habe auch schon 26 Euro gesehen…)
Link: Ravensburger HP

Alter: 10+
Spieler: 2-5
Dauer: 45-75 min
Genre: Strategie, Fantasy, Bluffen
BGG-Ranking: 894

Aufmachung
„Putzig“ ist das erste Wort, was mir da in den Kopf kommt. Hat das Cover noch etwas von einem dynamischen Harry Potter-Quidditch-Match, so ist der Rest des Spiels doch recht kindlich und comichaft gestaltet, seien es die Illus, das Spielbrett oder die Hexen-Pöppel. Auch der Titel ist ein knuffiges Wortspielchen, das man allerdings auch eher im Kinderspiel-Bereich vermuten würde. Aber davon lasse ich mich nicht abschrecken. Ich bin Manns genug, um auch ein scheinbar „kindisches“ Spiel nicht kategorisch von meinem Tisch zu verbannen.
Über die Qualität des Spielmaterials lässt sich nicht meckern. Also tue ich das auch nicht. Die Hexenhut-Meeples möchte ich sogar lobend hervorheben. Die haben irgendwie was. Die Spielanleitung ist recht gut gestaltet und die Seitenspalte mit den Kurzzusammenfassungen sind sogar richtig gut, aber ich persönlich hätte die Regeln stellenweise in einer anderen Reihenfolge eingeführt. Ein großes Plus ist es, dass man einfach draufloslesen kann und währenddessen das Spiel komplett vorbereiten und direkt loslegen kann.

Das Spiel
Ich war ja bis vor einigen Jahren noch der irrigen Ansicht, dass das „Kennerspiel des Jahres“ die richtigen Profi-Kracher prämieren würde, aber dem ist ganz und gar nicht so. Das Kennerspiel richtet sich eher an erwachsene Spieler, die knapp über dem Level „Casual Gamer“ stehen oder Familien, die gerne mehr mit ihren Kindern spielen und neue Herausforderungen jenseits der klassischen Spiele des Jahres suchen.

Broom Service ist von der Grundidee leicht beschrieben – ich muss Tränke herstellen, mit meinen Hexen und Druiden hin- und herreisen und die Tränke möglichst gewinnträchtig in Türmen abliefern. Dazu stehen einem in jeder Runde 4 (von insgesamt 10) Karten zur Verfügung, die man entweder „mutig“ oder „feige“ spielen kann. Dieser Mechanismus ist das Herzstück des Spiels und „feige“ Effekte sind immer schwächer, aber man darf sie auf jeden Fall durchführen. „Mutige“ Effekte sind äußerst mächtig, aber meine Aktion verfällt komplett, wenn noch ein weiterer Spieler am Tisch diese Karte auf der Kralle sitzen hat.

Schon mit diesem Grundmechanismus stellen sich viele Fragen und bieten sich viele Strategien an – so habe ich erst nach einiger Zeit festgestellt, dass ich an den Türmen ganz im Nordosten viel, viel mehr Punkte erhalte, es mag also erfolgversprechend sein, sich direkt in diese Richtung in Bewegung zu setzen, aber Achtung! Das Spiel dauert nur 7 Runden lang, da muss man den Hexenbesen ordentlich treten.
Später kann man aber, neben der Tatsache, dass das Spielbrett beidseitig bedruckt ist, noch drei weitere Elemente hinzunehmen – Sturmwolken, die Zusatzeffekte haben, Bergplättchen (die der mutigen Berghexe mehr Möglichkeiten eröffnen) und Amulette, die besonders im Set amtliche Siegpunkte geben und schließlich Waldplättchen, die Zufallseffekte generieren.

Einen Satz möchte ich noch verlieren zu der aufgedruckten Vignette „Besonders gut zu zweit spielbar“: Ich finde das Spiel zu zweit etwas sehr vorhersehbar. Gerade im ersten Zug fallen ja ohnehin 3 Karten flach und 2 weitere sind völlig sinnlos, da sie nicht zuspielen sind. Dadurch bleiben 5 Karten übrig, aus denen man sich 4 nehmen muss. Da ist der Startspieler schon brutalst benachteiligt, denn er kann eigentlich kaum eine mutige Aktion fahren, ohne sich direkt komplett aus dem Spiel zu katapultieren. Erst ab der zweiten Runde entzerrt sich das etwas, aber ich kann euch nur sehr empfehlen, nicht in der ersten Runde freiwillig den Startspieler zu geben.

Fazit
Ein wirklich gutes Spiel, das man mit den ganzen Zusatzfeatures sinnvoll erweitern kann, sodass es nicht nur für brettspielerfahrene Familien als auch für Vielspieler wirklich fordernd daherkommt. Ich fürchte, dass man sich mit dem Design wirklich fast ausschließlich auf Familien als Zielgruppe festgelegt hat, denn einerseits ist es für mich als „echten“ Fantasy-Fan viel zu „putzig“, um wich wirklich anzusprechen, während es andererseits meine Frau überhaupt nicht anmacht, die keinen Bock hat, was „mit Zwergen und Orks“ zu spielen. Und auch in der durchschnittlichen Familie werden eher die Kinder angesprochen werden, wenn sie das Ding im Regal stehen sehen, und auch die müssen sich erstmal mit ihrem Kaufwunsch beim elterlichen Finanzministerium durchsetzen. Ich wage zu behaupten, dass ein etwas „erwachsenerer“ Stil hier noch mehr Käufer generiert hätte.

Der mutig-feige-Mechanismus ist allerdings klasse und die vielen strategischen Möglichkeiten machen auch nach mehreren Spielen noch Spaß. Wer über den kindlichen Look hinwegsehen kann, bekommt ein Spiel, das schnell zu erlernen, aber trotzdem teif genug für viele Spielrunden ist.

Bewertung
4 von 5 feige Seehexen

SPIEL-Empfehlung
Unbedingt kaufen, wenn du clevere Kinder zwischen 8 und 15 hast und ihr ein neues Familienspiel sucht, das allen gleichermaßen Spaß macht


Weitere Rezi
Würfelheld