Dungeon? Wat is en Dungeon? Da stelle mer uns janz dumm.

Ausgehend von diesem Thread im Nerdvana-Forum kam ich in Erklärungsnot, warum die Möglichkeit bestehen könnte, dass Dungeons doch auch irgendwie Rollenspiel sind und vielleicht sogar Spaß machen könnten…
Ursprung war meine leicht provokante These, dass „DSA keine Dungeons kann“.
Grundsätzlich meine ich damit, dass viele DSA-Autoren, die zumeist im Geiste der 90er Jahre, in denen oft postuliert wurde, dass nur erzählendes Rollenspiel „echtes Rollenspiel“ (TM) seien, aufgewachsen sind, einfach den Sinn und den Wert von Dungeons nicht kennen oder erkennen (können) und dass daher in den letzen 20 Jahren annehmbare Höhlensysteme bei Deutschlands größtem Rollenspiel extrem rar gesät sind.
Ich muss aber noch ein Stückchen in der Zeit zurückreisen, um meine „In Defense of Dungeons“-Rede zu beginnen:
Das Rollenspiel entstand in den frühen 70er Jahren aus dem Tabletop-Wargaming-Bereich. Dort entstand die Idee, dass ein Spieler keine ganze Armee herumschubsen könnte, sondern eine einzige Figur spielen könnte. Geniale Sache, das! Und zuerst wirklich auf reines Minis-Rumschubsen beschränkt. Als Handlungsorte boten sich da natürlich die Festungen an, die man schon im Tabletop bestürmt hatte oder aber die dunklen Verliese und Kavernen, die sich unter dem tiefsten Burgfried verbargen.
Schon in der Entstehungsgeschichte von Dungeons & Dragons, das 1974 erschien, waren zwei Richtungen angelegt, war doch Gygax mehr der Regelfuchs, der immer präzisere und eindeutigere Regeln für sein Spiel ideal fand und Arneson eher der, der eine schicke Geschichte erzählen wollte.
… aber dazu später mehr – zurück zum Dungeon. Schnell kam der Schritt, dass man nicht mehr zwangsläufig mit Miniaturen spielte und die Dungeons eher mechanisch als Herausforderungen für die Spieler entwarf. Aus dieser Zeit stammen dann Stilblüten mit 10×10 Fuß großen Räumen, in denen 100 Goblins und 2 schwarze Drachen saßen und auf die Abenteurergruppe warteten, während im Nebenraum 3 Medusen herumlungerten. Auch Fallen waren nicht so platziert, dass sie sinnvoll waren, sondern so, dass sie die Pläne der Spieler möglichst effektiv durchkreuzten. Aus dieser Zeit stammen auch die „Wettbewerbs-Dungeons“. Diese treiben die Idee auf die Spitze den Spieler (nicht den Charakter!!!) vor eine Herausforderung zu stellen und das Spiel als Wettstreit zwischen dem SL und den Spielern anzusehen. Für mich nach wie vor die Grundidee eines zünftigen Dungeonaufbaus, heutzutage für viele eine völlig abstruse Idee, denn es steht ja schließlich der Charakter im Zentrum. Okay, Spielweltlogik wurde hier nicht immer groß geschrieben, aber das den armen Dungeons auch im Jahr 2014 noch vorzuwerfen, ist echt fies. *mimimimi*
… und ja, genau aus dieser Phase stammt die legendäre Handlungsanweisung: „Tür eintreten, alles platt machen, Schätze einkassieren.“
Schnell aber – schon in den späten 70ern und frühen 80ern entwickelten sich auch die Dungeons in zwei Richtungen, den „realistischen Dungeon“ und den „Funhouse Dungeon“ – vielleicht kann man den „Megadungeon“ noch als dritte Kategorie zählen.
Der realistische Dungeon bemüht sich darum, selbst im noch so nebensächlichsten Höhlensystem, logische ökologische Verflechtungen der einzelnen Bewohner zu haben (ja, lieber Dragon Magazine – ich blicke da nicht zuletzt in deine Richtung mit der „Dungeon Ecologies“-Reihe!).
Im Funhouse Dungeon besteht der Sinn eher darin, einen möglichst unterhaltsamen Spielabend zu erleben. Da darf es cheesy, gonzo, weird oder futuristisch sein, Hauptsache es rockt gewaltig! Wer sowas mal in höchster Perfektion erleben will, sollte sich mal Burg Bernstein/Castle Amber/Chateau d’Ambreville reinziehen. Das kann was! Und ja, ich liebe diese Spielart – will sie aber verständlicherweise auch nicht rund um die Uhr spielen müssen.

Megadungeons sind oft eine Art Mischung der beiden Typen. Es wird eine riesige unterirdische Welt erschaffen, die versucht möglichst, ihre unterschiedlichen Elemente möglichst sinnvoll interagieren zu lassen, während natürlich auch genügend Raum (Räume) zur Verfügung steht, um auch ein paar etwas merk- oder denkwürdige Elemente einzubauen. Und gerade im Bereich Megadungeon gibt es ja mal so richtig geile Sachen – egal ob Rappan Athuk, Undermountain oder der Slumbering Tsar Saga, in denen man Wochen, Monate oder Jahre verbringen kann, ohne jemals Tageslicht sehen zu müssen.
Ganz oben habe ich ein Bild von meinem kleinen Abenteuer „Die Katakomben des Nekromanten“ angepinnt, denn dort bemühe ich mich, einen halbwegs modernen Dungeon zu entwerfen, in dem die einzelnen Elemente miteinander agieren und der nicht dazu gedacht ist, sich von Raum zu Raum voranzuschnetzeln – was nicht bedeutet, dass nicht auch hier eine 10-Fuß-Stange, ein paar Krähenfüße, Murmeln und ein Brecheisen absolut nützlich sein könnten. Nur mal so als Beispiel für einen Dungeon der letzten 3-5 Jahre, in dem Interaktion genau so nützlich ist, wie eine Armbrust.
Mit diesen Vorbemerkungen kann ich ja endlich zu meiner Ausgangsthese mit DSA zurückkommen und damit einhergehend die von Gygax und Arneson schon um Jahrzehnte vorweggenommene Aufspaltung des Hobbys Rollenspiel.
In Deutschland erschien D&D Ende 1983 und DSA Mitte 1984 – beide fühlten sich damals noch recht ähnlich an – gerade das Spielgefühl war gut vergleichbar. D&D hatte damals schon definitiv die geileren Monster, die cooleren Schätze und die exotischeren Hintergründe. Ob es in diesem Moment bewusste Abgrenzung war, oder einfach die „deutsche Volksseele“, die ja schon viele Dinge im Bereich zwischen der unendlichen Geschichte, Grimms Märchen und dem Räuber Hotzenplotz hervorgebracht hat, vermag ich nicht zu sagen. Aber nach einigen holprigen DSA-Dungeonversuchen Mitte der 80er ging die Tendenz immer mehr in Richtung: „Wir legen Wert darauf, dass unsere Abenteuer eine Geschichte erzählen und Charakterspiel geht ohnehin mal über alles!“ Damit war man ja dann spätestens Mitte der 90er mit Vampire in hervorragender Gesellschaft und selbst Shadowrun – damals ganz sicher die Nummer 3 auf dem deutschen Markt – kam zwar von der Grundidee her eher kämpferisch daher und die „Runs“ hätten 1a-Dungeoncrawls sein können., aber das wurde in meiner Erfahrung selten so gespielt. Es gab immer eine Planungsphase, dann gab es einen katastrophal danebenlaufenden Run und man musste den Kontinent verlassen, um auf dem nächsten wieder neu beginnen zu können. Und Cthulhu – in den 90ern auch einer der „Großen 5“ legte ohnenhin Wert auf Recherche, schicke Handouts und grandiose Hintergründe. Selbst D&D – dann in Form von AD&D 2 – versuchte sich mit weiter ausdefinierten Charakteren und einem leichten aber merkbaren Ranwanzen an die Storyteller-Fraktion in die populäre Richtung zu entwickeln.
In absoluter Konsequenz ging das so weit, dass für den durchschnittlichen Rollenspieler im deutschsprachigen Raum „Dungeons“ etwas gefühlt Primitiveres waren als richtig echtes Rollenspiel. Weitergedacht führte das dazu, dass seit sagen wir mal grob 1987 keine reinen dungeonigen oder sandboxmitdungeonigen Abenteuer mehr für DSA erschienen – es gab zwar noch Dungeons, aber die waren eher Randerscheinungen und geschmeidig in die vorproduzierte Handlung eingebettet. (Als kleines Aside könnte man hier auch auf die „Wildnis“ in DSA-Abenteuern eingehen, denn eine freie Exploration gibt es auch in diesem Bereich nicht. Auch Wildniserkundung findet in den meisten Fällen rein erzählerisch abgehandelt.)
Halten wir uns das vor Augen, dann ist es kein Wunder, dass die heutigen DSA-Autoren bisher kaum mit wirklich durchdachten Dungeons zu tun haben, denn entweder sie sind selber schon in den 90ern aktiv gewesen oder aber sie haben schon mit der Muttermilch aufgesogen, dass Dungeons eine minderwertige Angelegenheit sind und mit Rollenspiel nur entfernt etwas zu tun haben. Dass man nicht jeden Ork-Stamm, auf den man unterirdisch trifft, direkt wegschnetzeln muss, sondern sich mit ihm gegen die fiesen Hobgoblins der Nachbarhöhle verbünden könnte oder man mit den beiden Köpfen eines Ettin viel Spaß haben kann und sie nicht beide zwangsläufig mit dem Schwert entfernen muss, das ist in seinem Bewusstsein gar nicht präsent. Und das ist jetzt nicht beleidigend, abwertend oder sonstwas gemeint, ich stelle das einfach nur fest. Auch ist mir nicht mein Plan, den Spieß umzudrehen und zu sagen, dass storyorientiertes oder charakterorientiertes Rollenspiel viel doofer ist. Nö. Es ist einfach nur eine andere Herangehensweise.
Habe ich jetzt eigentlich geschrieben was Dungeons spielenswert macht? Bestimmt irgendwo zwischen den Zeilen. Aber wenn ihr noch Fragen habt, her damit. Wenn ich irgendwas völlig falsch sehe, schildert eure Sichtweise – gerne in den Kommentaren oder im Nerdvana-Thread…
… und ich muss unbedingt auf einer der nächsten Cons „Burg Bernstein“ leiten. Die Dreieich drängt sich da ja regelrecht auf, wenn es nicht gerade ein Ründchen „Umläut – The Game of Metal“ sein darf.

9 Gedanken zu „Dungeon? Wat is en Dungeon? Da stelle mer uns janz dumm.“

  1. Jopp. Deutsche Designer, das gilt nicht nur für DSA, können keine Dungeons. Ein Aspekt, der Dir bei dem Artikel unter den Tisch fällt (wenn Du es auch mit dem Katakomben-Des-Nekromaten andeutest) ist, daß ein clever erstellter Dungeon ein hohes Maß an nicht-linearem Vorgehen erlaubt und fördert. Taktik im Dungeon ist weitgehend unterschätzt hierzuland.

    Das führt dann zu den öden Kleinstdungeons, die einfach nur linear abzulatschen sind. Großer Sünder in dieser Hinsicht, den ich zuletzt in der Hand hatte, war "Die Söhne der Wüste" – vier detaillose, stimmungslose, vor allem aber weitgehend von taktischen Optionen befreite Grabkammern. GÄHN. Schon lustig, daß ausgerechnet DUNGEONslayers ein Band mit so miesen Dungeons publiziert.

  2. Hm, der Artikel vereinfacht mir vieles zu sehr. Die grobe Unterteilung von Dungeons, wie Du sie präsentiert hast, wird der Vielfältigkeit nicht gerecht. Auch, daß Gygax eher der Regelonkel und Arneson der Geschichtenonkel gewesen sein soll, was dann in den 70ern schon der Grundstein zur Aufspaltung von Spielstilen legte, ist wohl eher hineininterpretiert – oder aber die Quellen, aus denen Du das ableitest, sind mir nicht bekannt.
    CTHULHU wurde überdies insbesondere hierzulande zu der hintergrund- und recherchelastigen "SL-Quälerei" (wie ich es gern nenne) – viele in den USA erschienenen Abenteuer waren deutlich mehr "straight forward".
    Aber bevor ich abweiche: der Titel Deines Beitrags läßt vermuten, daß Du erklärst/darüber aufklärst, was ein DUNGEON ist und welche Merkmale ihn beschreiben. Aber der Text wird dem nicht ganz gerecht. Unterhaltsam ist er trotzdem! 🙂

  3. "Habe ich jetzt eigentlich geschrieben was Dungeons spielenswert macht? "

    Nein. Aber ich freue mich auf deinen nächsten Blog Eintrag, der darauf eingeht. 😉

  4. Was Argamae sagt.

    Gygax war auch der "Stimmungs-Onkel", der massenhaft Flufftexte produziert und sich zum Leiten in den Schrank gesetzt hat.

    Und Arneson hat zwar in seiner "Hausrunde" weitgehend regellos und storyorientiert geleitet, war aber auch ein starker Verfechter einer stärkeren "Verregelung" von D&D (weil er auf Cons gemerkt hat, dass der Story-Ansatz nicht bei allen Spielertypen funktioniert und er langwierige Diskussionen vermeiden wollte).

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