[Rezi] Los Muertos

Verdammte Axt! Was habe ich mir denn dabei gedacht, als ich das Ding von der RPC mitgenommen habe? 
Ein verdammtes One-Tick-Pony mit einem lächerlich einfachen indiemäßigen Konfliktresolutionsmechanismus und einem völlig behämmerten Hintergrund das nicht einmal anständige Würfel verwendet von einem unfassbar unbekannten Autoren?
Ich liebe es!!!
Titel: Los Muertos
Autor: André Pönitz
Art: Regelwerk
Verlag: Prometheus
Format: A5, 136 Seiten, vollfarbig
ISBN: 9-783944-713007
Preis: 14,95€
Okay, die Information „auf der RPC ausverkauft“ beeindruckt mich nicht mehr ganz so sehr, wie es noch vor ein paar Jahren der Fall gewesen wäre, als ich davon ausging, dass ein Verlag immer die komplett Druckauflage von mehreren tausend Kopien mit auf Messen schleppen würde, aber nichtsdestotrotz ist das doch mal ein schöne Kompliment für die Promethen (die sich sicher in den Hintern beißen nicht noch zwei Kistchen mehr mit nach Köln genommen zu haben) und das Team André Pönitz (Wort), Timo Grubing und Volker Konrad (Bild).
Da das Spiel aus der überaus empfehlenswerten PocketRPG-Reihe wirklich ein totales One Trick Pony ist, werde ich an einigen Stellen etwas um den heißen Brei herumeiern müssen, aber das ist der geneigte Seifenkisten-Leser ja schon gewöhnt.
Ich werde die kurze Besprechung (andere würden sagen Lobhudelei) resolut in drei Abteilungen unterteilen: Setting, System und Erscheinungsbild.
Setting: Tja, was soll ich sagen? Ihr spielt frisch verstorbene Tote, die im aztekischen Totenreich gelandet sind und sich nun durch 9 Ebenen hindurch kämpfen müssen/wollen, um im Anschluss nach Mictlan zu gelangen.
Hört sich komisch an, ist es auch. Einen Großteil seines Reizes bezieht Los Muertos daraus, sich von Ebene zu Ebene den Sense of Wonder zu erhalten. Man wird immer in eine völlig neue Welt geworfen, wo es zuerst einmal gilt, die Regeln zu verstehen, um sich angemessen verhalten zu können. Eine tolle Sache, die leider in den meisten klassischen Fantasy-Settings schon vor 30 Jahren verloren ging – hier können auch alte Haudegen dieses Gefühl etwas wirklich Neues zu entdcken noch einmal erleben. Wie gesagt – für mich DAS große Plus bei diesem Spiel und genau der Grund warum ich hier nix über die 9 Ebenen erzählen werde. Spielt und erlebt sie einfach selber!
Einzig, dass man nach seinem Tod erstmal in den Pfortenländern landet und von einem Pudelmenschen-Gott namens Xolotl begrüßt wird, möchte ich hier kurz erwähnen. Ich denke das reicht fast schon aus, um sich einen Eindruck zu verschaffen…
Das Setting wird in einem eigenen Kapitel kurz angerissen, genauer beschrieben wird es dann aber in den enthaltenen Beispielabenteuern (auch das finde ich immer sehr wichtig – nirgendwo lernt man so viel über ein Spiel wie in vom Autoren direkt beigelegten Abenteuern) – und davon gibt es einen ganzen Arsch voll. Jede Ebene wird mit 2 Abenteuern bedacht, bis auf die Einstiegsebene, die Pfortenländer, wo man sich durch drei Abenteuer wurschteln kann.
System: Keine Würfel, pfrrrz! Dämlicher Indiekram! Okay. Ich habe gerade „Umläut – The Game of Metal“ übersetzt, daher ist es mir nicht fremd, Konflikte durch das Ziehen von Karten zu lösen. Bei Los Muertos zieht man Karten. Eine gezogene rote Karte stellt einen Erfolg dar und ich ziehe immer so viele Karten wie meine passende Fähigkeit (plus eventueller Modifikatoren durch die Umstände) hergibt und muss genügend Erfolge haben, um den Schwierigkeitsgrad zu erreichen oder zu üertreffen. Wie konkurrierende Proben aussehen, kann sich der geneigte Rezensionsleser sicher selber vorstellen.
Ein Charakter wird durch folgende Dinge beschrieben:
Name – Todesumstände – ein paar Sätze, was man über den Verstorbenen wissen muss – die Fähigkeiten Wille, Soziales, Kämpfen, Geistiges, Körper und Sinne (je mit 1-3 Punkten) – Spezialisierungen und Gepäck
Das war’s auch schon! Gefällt mir natürlich in seiner Einfachheit super, das Spiel ist aber in seiner Anlage her komplett darauf angewiesen, dass der Spielleiter es gut mit seiner Truppe meint, denn schon der Satz: „Der SG wird intuitiv festgelegt.“ sorgt natürlich dafür, dass ein alter Sack wie ich Beklemmungen inder Magengegend bekommt. Nicht, dass etwas daran verkehrt wäre, etwas intuitiv festzulegen, aber wenn es sich dabei um den wirklich einzigen Mechanismus des Spiels handelt, wird es doch schon kritisch. Auch, dass Patzer „ärgerlich, aber nicht fatal“ sein sollen, unterstreicht den Ansatz des Spiels zu unterhalten und gemeinsam eine schöne Geschichte zu erleben. Ich persönlich stehe lieber vor tödlichen Gefahren, aber wenn man sich darüber vor dem Spiel im Klaren ist, habe ich da absolut kein Problem mit.
Die Konfliktresolution insgesamt ist mir etwas zu beliebig. In jedem zweiten Satz steht, dass etwas im Ermessen liegt oder man die Konsequenzen nicht ganz so fürchterlich gestalten soll – manchmal überlege ich mir da wirklich warum man es nicht komplett weglässt und sich einfach zum gemeinsamen Fabulieren trifft.
Erscheinungsbild: Respekt. André kann mal wirklich angenehm schreiben. Die Texte lesen sich wirklich gut und man wird nicht durch haarsträubende Fehler oder grausame Stilbrüche rausgerissen. Bei Los Muertos passen auch noch die Illus und das gesamte Layout hervorragend zum Gesamtambiente und in diesem Punkt gibt es echt nix zu meckern. Punkt.
Fazit: Alleine schon aufgrund des simplen Mechanismus‘ und dem doch sehr spezialisierten Hintergrund spreche ich dem System mal spontan eine größere Kampagnenfähigkeit ab. Aber das hat mich ja noch nie davon abgehalten, etwas zu hypen – SpacePirates anyone???
Wer also auf ein völlig durchgeknalltes Setting steht und sich darauf einlassen kann in etwas merkwürdiger Form mit dem Tod der eigenen Spielfigur konfrontiert zu werden; wer zudem noch gerne flockige und gut recherchierte, aber nicht im geringsten trockene Texte mit einem coolen Witz und perfekt dazu passende Illustrationen zu würdigen weiß, der sollte bei den knapp 15 Euro nicht knickrig sein und direkt zum Rollenspielhändler seines Vertrauens sprinten oder direkt im Shop von Prometheus bestellen.
Die Toten rocken gewaltig!
… und um endlich mal ein Wertungssystem in meinen Rezis einzuführen:
Ich gebe Los Muertos 5 von 6 tanzende Totenschädel.
(1 Schädel Abzug, weil ich mir ob des sehr rudimentären Systems etwas Sorgen um die Langzeitmotivation mache, weil es definitiv einsteigerfreundlicher gegangen wäre und weil mein Name nicht drinsteht)