Warhammer Fantasy – Spielleiter-Handbuch

… und da ist auch schon die Besprechung des zweiten Warhammer-Regelwerks, des Spielleiterhandbuchs. Wie von den Warhammer-Hardcovern her vollfarbig, absolut stabil und übersichtlich und dennoch irgendwie „stylisch“ gestaltet.

System: Warhammer Fantasy (3. Edition)
Autoren: Jay Little et. al.
Übersetzer: Daniel Schumacher, Oliver Hoffmann
Verlag: Heidelberger
Seiten: 194 Seiten (gebunden, vollfarbig)
Erscheinungsjahr: 2011
Preis: 29,95 Euro
ISBN: 978-3-942-857017

Warhammer ist ja auch etwas für seinen etwas hemdsärmeligen Humor bekannt, aber direkt auf den Buchrücken „Spieleiter-Handbuch“ zu schreiben, finde ich dann doch etwas zu eklig… 
Aber ich kann trotzdem vorausschicken, dass Übersetzung und Lektorat vergleichsweise saubere Arbeit geleistet haben und nicht viele solcher unfreiwilligen Schulmädchenkicherer vorkommen. Das gibt schon das erste Fleißkärtchen.

In insgesamt 16 Kapiteln wird man in die Welt des Spielleitens, aber ebenso auch in die Welt von Warhammer Fantasy eingeführt, bevor im letzten Kapitel mit Auge um Auge ein ziemlich ausführliches Beispielabenteuer bereit steht, vom frisch gebackenen SL geleitet zu werden. Anschließend gibt es noch gut zusammengestellte Anhänge mit Tabellen und zusammengefassten Infos und einen kleinen Index. Der Aufbau ist schonmal vorbildlich.
Kapitel 1 nimmt dann tatsächlich den Spielleiter an der Hand und versucht, ihm die Grundlagen zu vermitteln. Vielleicht etwas zu handwedelig für meinen persönlichen Geschmack, aber da habe ich schon Schlimmeres gelesen. Auch Klassiker wie die Trennung aus Spieler- und Charakterwissen oder wie man die Gruppe zusammenhält, wird besprochen. Okay – auf 11 Seiten kann man da einem alten Fuchs nicht mehr viel erzählen, aber für absolute Neulinge ist hier einiges Brauchbares zu finden.

Mein persönlicher Favorit ist das folgende Kapitel, in dem auf den (möglichen) Aufbau von Warhammer-Abenteuern eingegangen wird. Hier bekommt nicht nur der Neuling viele sinnvolle Impulse und Werkzeuge an die Hand. Hier seien nur kurz der Aufbau in Episoden und Akten genannt oder beispielhafte Erzählstrukturen wie auch Hinweise zur zeitlichen Gestaltung. Natürlich dürfen bei solch praktischen Themen auch drei Beispiele nicht fehlen. An dieser Stelle habe ich mich gleich mal für mein kleines Wettbewerbsabenteuer inspirieren lassen.

Auch das dritte Kapitel strotzt vor praktischen Hinweisen – wie gehe ich mit meinen Ressourcen (namentlich Schicksalspunkte, Erfahrungspunkte, Reichtum, Erschöpfung/Stress, Glück/Pech, Gruppenanspannung und Ruhm) um und wie deute ich die Würfelergebnisse der vielen verschiedenfarbigen und merkwürdig aussehenden Würfel?


Kapitel 4 widmet sich dann einem sehr coolen Mechanismus, der Fortschrittsleiste. Das Ding ist wirklich vielseitig einsetzbar – mit ihm hat man ein vielseitiges Werkzeug an der Hand, mit dem man alles zwischen wilder Verfolgungsjagd, Streitgespräch und Bibliotheksrecherche regeltechnisch abbilden kann, ohne sich des Verdachts der „Meisterwillkür“ schuldig zu machen. Geniales Teil!

Habe ich schon erwähnt wie viele praktisch verwendbare Tipps das Buch bietet? Auch jetzt, wenn es um Kampagnen geht, lernt man als Spielleiter einiges über Logistik und Kampagnenaufbau. Welche Abenteuerauslöser biete ich an, wie verknüpfe ich Einzelabenteuer, wie binde ich die Charaktere ein? Wenn dieses Kapitel noch etwas sinnvoller gegliedert wäre, hätten wir hier ein absolutes Highlight der Spielleiterkunst vorliegen – ich weiß leider nicht inwieweit gerade Neulinge hier mehr Infos als „Bahnhof“ oder „Kraut und Rüben“ rauszuziehen vermögen, wenn auf wenigen Seiten Schlagworte verwurstet werden, die irgendwo im Bereich zwischen Kampagnenkonzepten, Charakterverknüpfungen, Elementen einer Kampagne, der Frage „High Fantasy oder Realismus?“, Tod & Kampagnenstil und Kampagnenhöhepunkten liegen, in aller Kürze abgehandelt werden. Hier hätte fas schon jeder kleine Punkt ein eigenes Kapitel verdient gehabt.

Ganz anders ist es mit dem Abschnitt zu Feinden und Gegenspielern. Der hat die richtige Länge und gibt wichtige Anregungen ebenso zum Verhalten und Spielen von Feinden, wie auch zu deren spielpraktischer Verwaltung.

Für mich bildet das nun folgende siebte Kapitel eine Art Einschnitt. Bisher hatten wir ziemlich reine Infos zum Spielleiten, ab hier vermischt sich dieser Teil mit Elementen der Hintergrundwelt.

Hier wird für mich der Finger in die Wunde gedrückt, dass es keinen eigenen Settingband zu Warhammer Fantasy gibt. Klar, die alten Hasen haben jede Menge Material aus den vorhergehenden Editionen oder dem Tabletopspiel, aber als Neuling steht man doch zuerst einmal mit runtergelassenen Hosen da und weiß eigentlich so gut wie nichts über die Welt, in der man nun seine Runden leiten soll.
Okay – zwischen Regeln und Setting schwebend gibt es hier die Verderbnisregeln und im folgenden Kapitel 8 gleich noch Krankheitsregeln. Auch hier gibt es wieder einheitliche Mechanismen für Verderbnis und Krankheiten – durch bestimmte Aktionen und Ereignisse (verderbliche Einflüsse) erhält man Verderbnispunkte, die einen in den Wahnsinn reiben, mutieren lassen oder mit einem Chaosmal belegen – was jeweils andere, zumeist eher unerfreuliche Auswirkungen hat, obwohl die Chaosmale auch Macht verleihen, einen aber sozial doch das eine oder andere Mal in Probleme bringen sollten.

Ein ganz kurzes Kapitel widmet sich den Göttern, speziell dem imperialen Pantheon – genial ist hier einer der vielen Ingame-Einschübe und zwar ein Reikländisches Volkslied, das alle Götter mit ihren Herrschaftsbereichen nennt und erklärt. Super.

Deutlich mehr Raum erhalten die imperialen Kulte und jeder Kult wird mit Ingame-Quelle, Infotext und kurzer Box mit beispielhaften Geboten des Kultes vorgestellt. Dass mein persönlicher Favorit Myrmidia ist, dürfte wohl jedem klar sein, strebe ich doch mit jeder Faser meiner Existenz nach Wahrheit, Ehre und Künsten.

Nach den imperialen Religionen gibt es andere Religionen – wieder irgendwo im Niemandsland zwischen Nichtssagend und genial. Geil sind die „seltsamen Festivitäten und Rituale des Reiklands“. Solche kleinen Details füllen eine Welt erst mit Leben. Und es wird wohl niemand geben, der seinen ersten Unkenruf vergessen wird. Auch ich werde das nicht tun, denn in diesem Abschnitt gibt es einen fiesen das/dass-Fehler.

Ein kurzes Kapitel widmet sich nun Verderbnis und Ketzerei. Warum stand das nicht zuvor schon bei den Verderbnisregeln? Oder hat man wirklich krampfhaft versucht einen Spielleiterteil und einen Settingteil so gut wie möglich voneinander zu trennen? Sei es wie es sei – für mich als braven Hörer der Söhne Sigmars sind Khorne, Nurgle (von seinen Fans auch „Nörgel“ genannt), Slaneesh und Tzeentch die heimlichen ´“Stars“ des Settings. Sie definieren für mich die Warhammer-Welt und geben ihnen ein „anderes“ Spielgefühl als es viele andere Settings haben.

Die nächsten vier Kapitel widmen sich der Magie – wie funktioniert sie, wie wird sie gelehrt, was hat es mit den acht Orden auf sich?
Die Magie in Warhammer ist in 8 „Winde“ eingeteilt, die jeweils eine eigene Ausbildungsakademie haben – der Grundgedanke ist der, dass niemand die geistigen Voraussetzungen hat, mehr als eine Art der Magie zu beherrschen. Es gibt allerdings auch unerlaubte – also nicht vom Staat abgesegnete Magie, und die Schlawiner des Sigmartempels werden jedem die Hölle heiß machen, der ohne Magierpatent einfach so vor sich hin zaubert. Und womit? Mit Recht!

(Fast) Abschließend gibt es ein wirklich außergewöhnlich ausführliches Beispielabenteuer „Auge um Auge“. Von der Sache her ist die Lage schnell geklärt – es geht darum, einen Kult auszuräuchern. Scheint ein bei Warhammer immer wieder zurückkehrendes Element zu sein – da kann man sich direkt schonmal dran gewöhnen.
Was neben den Klischees (auf die ich sowieso stehe) gut ist, ist, dass etliche der im Regelteil abgehandelten Mechanismen auftauchen, wie die Fortschrittsleiste in ihrer Verwendung im Kampf oder bei Nachforschungen. An die zuvor vorgeschlagene Einteilung in drei Akte hat man sich hier selbstverständlich ebenfalls gehalten. Auch gibt es etliche nützliche Hinweise wie welche NSC zu spielen sind und am Ende sind alle spielrelevanten Informationen nochmal komprimiert zusammengefasst. Alles in allem ein gute Beispiel, das einem Spielleiterneuling zeigt, aus welchen Elementen man sein Abenteuer zusammensetzen kann. So muss es sein.

Den Abschluss bilden Tabellen zu schönen Spielerquälern wie: Kritische Wunden, Wahnsinn, Zauberpatzer, Mutation und Krankheiten.

Nun wirklich den Abschluss (nur noch gefolgt vom Index) bilde ein geniales kleines Konzept, das fast schon in Richung FATE geht, wo auch Örtlichkeiten Aspekte haben, die ausgelöst werden können. Die Geschichte heißt hier „Schauplätze“ und es gibt je nach dem Ort, an dem man sich befindet kleine Spezialregeln. So lässt sich leicht abbilden warum ein befestigter Eingang gut zu verteidigen ist, wie es sich mit Festplätzen verhält und wie ich es ohne Handwedeln schaffe, die Charaktere aus einem brennenden Gebäude entkommen zu lassen (oder auch nicht).

Fazit: 

Ein hervorragendes Buch, dessen einziger Makel (neben seinem teils etwas mysteriösen Aufbau) darin besteht, dass es versucht (versuchen muss!) gleichzeitig Spielleiterhandbuch und Settingband zu sein. Für Spielleiter (und auch Spieler) von Warhammer Fantasy definitiv ein Pflichtkauf, aber auch Spielleiter anderer Systeme können sich das gute Stück bedenkenlos zulegen, gibt es doch so manchen Mechanismus, den man locker auf andere Systeme aufpfropfen kann – ich sage nur: Fortschrittsleiste, Schauplätze oder Verderbnismechanismus…