[Rezension] Isle of the Unknown

Mit freundlicher Unterstützung von Jim Raggi gibt es hier eine Gastrezension von Paule Koopmann – enjoy!

Titel: Isle of the Unknown
Art: Setting

Regeln: Lamentations of the Flame Princess, D&D 1st & Klone
Sprache: Englisch
Verlag: Lamentations of the Flame Princess
Publikationsjahr: 2011
Autor: Geoffrey McKinney
Illustrationen: Cynthia Sheppard, Amos Orion Sterns, Jason Rainville
Umfang: 128 Seiten A5
Bindung: Hardcover
Preis: 22.94€ (inkl. PDF)
Rezensent: Jan-Paul Koopmann

Sollte es jemanden geben, der die Old School Renaissance ausschließlich wegen jenes so genannten Charme des Selbstgemachten schätzt, so müsste er sich Lamentations of the Flame Princess als dringenden Warnhinweis einprägen. Die Veröffentlichungen unter dem Label des D&D-Klons sind mittlerweile von einer Professionalität, die kein Unterscheidungskriterium zu den Büchern größerer Verlage mehr hergibt. „Von der alte Schule“ sind Bücher wie das soeben erschienene Isle of the Unknown aber dennoch ohne jeden Zweifel, auch wenn das hier ausschließlich am Inhalt festzumachen ist:

Isle of the Unknown ist eine Sandbox in Reinform und ein Setting, das sich in jeder beliebigen Fantasykampagne unterbringen lässt. Die regeltechnische Darstellung ist kompatibel zum ursprünglichen D&D und dessen einschlägigen Klonen wie beispielsweise Labyrinth Lord. Auch wenn das Sandbox-Format zur Zeit in aller Munde ist und bis weit in DSA-Kreise hinein diskutiert wird, ist Isle konsequenter als die meisten anderen populären Beispiele, die auch mit Hexfeld-Karten in erster Linie einem Plot verpflichtet sind. (Paizos Kingmaker zum Beispiel.)

Die im Buchtitel genannte Insel wird – eingeteilt in Hexfelder – auf 108 Seiten beschrieben. Die übrigens 17 gehen für Titelblatt, Inhaltsverzeichnis, Vorwort, ein paar Legenden und Tabellen mit unterschiedlichen Sortierungen des Inhaltes drauf: Die Monster nach Hit Dice, Kleriker und Zauberwirker der Insel oder auch eine Sammlung der über die Hexfelder verstreuten magischen Statuen. Es ist allein Sache des Spielleiters, die Insel in einer Kampagne zu platzieren und anschließend die Angelegenheit der Charaktere, sich darauf zu bewegen und ihre Geheimnisse zu erforschen.

Bemerkenswert ist, dass diese Beschreibung weitestgehend auf phantastische Elemente beschränkt bleibt, während die weltliche Ebene dem Spielleiter überlassen bleibt, der sie an die Kulturen und Völker seiner Kampagnenwelt anpassen kann – und muss! Selbst die Hauptstadt der Insel (mit immerhin 19.100 Einwohnern) wird in gerade mal drei Sätzen abgehandelt. Der Autor, Geoffrey McKinney, hatte die mittelalterliche Auvergne als weltlichen Hintergrund im Kopf (die wohl nicht zufällig auch das Vorbild für Clark Ashton Smiths Averoigne war und in Deutschland eher als Schauplatz von Asterix und der Arvernerschild bekannt sein dürfte), einfügen lässt sich aber buchstäblich jede andere Welt.

Was Isle als Setting mit in diese Welt bringt, ist ein gehöriger exotischer Einschlag. Keines der 109 Monster entspricht den klassischen Monster Manual-Gestalten und entsprechend sonderbar sind sie bisweilen auch: Vom d4-förmigen Adler über die humanoide Forelle bis hin zum halb durchsichtigen Marienkäfer in Nilpferdgröße. Das klingt nicht nur komisch, sondern sieht auch so aus, denn jedes Monster ist farbig abgebildet. Im Gegensatz zu den dreizehn ganzseitigen Szenenbildern sind diese Darstellungen ungewöhnlich cartoonhaft und in manchen Kampagnen vielleicht eher als Vorlage mündlicher Beschreibungen als zum Zeigen geeignet. In jedem Fall ist das Buch vom Cover bis zur letzten Seite quietschbunt, verspielt und fröhlich – nicht nur im Vergleich mit der makaberen Düsternis, für die Lamentations of the Flame Princess eigentlich bekannt ist. (Man denke nur an Titel wie Death Frost Doom …)

Wer sich nun sowohl mit der Exotik als auch mit der extrem freien Form anfreunden kann, erhält mit Isle einen Werkzeugkasten, mit dem sich Runden beliebiger Stufen über Monate beschäftigen können. Sollten die Charaktere es allerdings auf Durchmarsch und Draufhauen anlegen, wird das Vergnügen deutlich schneller beendet sein. Die Insel hat keine „Einsteigerregion“ und beherbergt Monster mit bis zu 15 Hit Dice, sowie einige ernsthaft tödliche magische Geheimnisse. Nicht alle Begegnungen sind von sich aus feindlich, aber zur Vorsicht ist in jedem Fall geraten und als Schlachtplatte für Türeintreter ist die Insel definitiv nicht zu empfehlen. (Dem hartnäckigsten und falschesten Old School-Vorurteil zum Trotz.)

Der Spielleiter wird vermutlich eher gewöhnliche – zu seiner Kampagnenwelt und den Fähigkeiten der Charaktere passende – Zufallsbegegnungen vorbereiten, aber die Begegnungen aus dem Buch haben es in sich. Bei der Fülle ließe sich Isle theoretisch auch als eine Art Manual verwenden, wobei die skurrilen Wesenheiten jenseits ihrer exotisch-geheimnisvollen Insel einen ernsten Stilbruch in den allermeisten Kampagnen bedeuten dürften.

Das Buch selbst ist im A5 Hardcover gebunden, durchgehend farbig illustriert und macht einen sehr stabilen Eindruck. Der Text ist einspaltig und nimmt knapp sieben cm in Anspruch, während der Rand auf fast jeder Seite ein oder mehrere Monsterbilder zeigt. Das Layout wirkt aufgeräumt und die Schrift ist entspannt lesbar. Im Umschlag befindet sich vorn eine Karte der Insel, die abgesehen von den nummerierten Hexfeldern unbeschriftet ist. Auf einem weiteren Exemplar auf der letzten Seite sind die Standorte von Klerikern, Magieanwendern, Monstern, Statuen und Siedlungen markiert.

Isle of the Unknown  wird sowohl formal als auch inhaltlich nicht jeden Geschmack treffen. Das Buch bietet einen ungewöhnlich bunten Rahmen für zahllose Abenteuer, überlässt dem Spielleiter aber mitsamt unglaublichen Möglichkeiten auch recht viel Arbeit. Denn obwohl es ein wertvolles (und nebenbei auch sehr übersichtlich gestaltetes) Hilfsmittel ist, lässt sich nicht einfach allein aus dem Buch heraus spielen. Wie wahrscheinlich jedes Buch, das am Spieltisch hochgradig nützlich ist, weil es genau das enthält, was für das tatsächliche Spiel benötigt wird, erfordert es eine gewisse Einarbeitungszeit. Es gibt keine „whole story“ vorab, keine unterhaltsamen Erzähltexte und noch nicht einmal eine sinnvolle Lesereihenfolge. Wer das aber auf sich nehmen möchte, kaufe das Buch, lande mit dem Finger auf einem beliebigen Uferfeld an und erkunde die Isle of the Unknown genau wie die späteren Charaktere: Hex für Hex – die Ideenflut kommt garantiert! Für nicht wenige Spieler in Deutschland dürfte die Insel die erste reine Sandbox sein und wegen ihres durchdachten Designs, das sich zwar dezent aber durchgehend bemerkbar macht, ist sie ein gutes und erfrischendes Beispiel für die vermeintlich bekannte Form. Wie schon bei anderen Büchern aus dem Hause Raggi lässt sich beim Spielen beobachten, wie diese sonderbar abstrakten Vorlagen plötzlich funktionieren – selbst wenn man sie bei der Lektüre noch gar nicht wirklich verstanden hatte.

2 Gedanken zu „[Rezension] Isle of the Unknown“

  1. Jo, kann ich unterschreiben. Bis auf das Spielen, die Chance hatte ich leider noch nicht.

    Die Magier, finde ich, sollten noch erwähnung finden, die mich stark an Vorbilder wie Lyonesse oder sogar Dying Earth von Vance erinnern… Averoigne muß ich mir auch noch besorgen.

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